VORBLATT ZUM »KATEGORISCHEN IMPERATIV« KANTS:
Zusammenstellung von Textpassagen zum »kategorischen Imperativ« aus seinen Werken
Wohl kaum ein Begriff wird mit der kritischen Philosophie Kants in unmittelbarere Verbindung gebracht wie derjenige des »kategorischen Imperativs«.
Eine Auseinandersetzung und Beschäftigung mit Kants Moralphilosophie bzw. mit seinen Auffassungen von einer normativen Pflicht- und Zweckethik reißt seit der Veröffentlichung der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) sowie der Kritik der praktischen Vernunft (1788) nicht ab und wird bis in unsere Zeit nach wie vor mehr oder weniger vehement, mit mehr oder weniger direktem Bezug auf jene Schriften geführt. Niemand, der sich für Fragen nach moralischem Handeln und ethischem Verhalten interessiert, kommt an ihnen letztlich vorbei. Dies gilt insbesondere für das von Kant aufgestellte Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft: seinen »kategorischen Imperativ«.
Gibt es doch meines Wissens kein (wirklich ernst zu nehmendes) Lehrbuch oder keine Sammlung philosophischer Texte zur Ethik, in dem bzw. in der der bekannte Imperativ nicht entweder selbst im Wortlaut enthalten ist oder zumindest auf diesen oder auf eine der vielen Fassungen mit ihren jeweils unterschiedlichen Akzentsetzungen (direkt oder indirekt) Bezug genommen wird.
Dass nicht nur die für unsere heutigen Ohren antiquiert wirkende Ausdrucksweise Kants, sondern auch dessen gewöhnungsbedürftige Begrifflichkeiten und vor allem sein Schreibstil mit den schier endlosen Satzkonstruktionen und Satzgefügen es dem Leser oder der Leserin nicht gerade leicht machen, seinen komplex entwickelten Gedankengängen zu folgen, ist unbestritten. Dennoch ist es meiner Ansicht nach der Mühe wert und lohnt die zweifellos aufzubringende Anstrengung, sich so weit wie möglich vorbehaltlos interessiert darauf einzulassen – egal, zu welchem anschließenden Urteil, das dann aber reflektiert und zugleich reflexiv vorgenommen werden kann, der oder die einzelne auch immer gelangen mag.
An dieser Stelle sei es mir erlaubt, für Kants immer wieder als rigoristische und zudem nur formalistische Pflichtethik abgetane idealistische Moralphilosophie eine »Lanze zu brechen« (eine an idealistische Vorstellungen aus dem mittelalterlichen Turnierwesen anknüpfende Wendung). Zu diesem Zweck möchte ich eine längere Passage aus Nur daß ich ein Mensch sei. Die Lebensgeschichte des Immanuel Kant (1996) von Arnulf Zitelmann anführen (da sie das zum Ausdruck bringt, wozu ich selbst in derartig sprachlich akzentuierter Weise nicht in der Lage bin, betrifft es – im eigentlichen Wortsinn – ja auch mich selbst und erinnert mich zudem stark an einen mittlerweile allbekannten Zweizeiler Arnold Haus aus seiner Tierwelt - Wunderwelt, der da lautet: Die schärfsten Kritiker der ELCHE / waren früher selber welche.):
Die Ethik des kategorischen Imperativs sperrt sich gegen Überheblichkeitsgefühle. Zugegeben, es ist verführerisch, sich Moral durch Gruppenzugehörigkeit zu attestieren. – Stimmt die Gruppe, stimmt die Moral. Befinde ich mich in der richtigen Clique, habe ich das richtige Thema – Umwelt, Frieden, Frauen, Menschenrechte – im Kopf, bin scheinbar automatisch ein besserer Mensch. Und wer möchte das nicht sein? Kant allerdings widersteht der moralischen Schulmeisterei [ganz im Gegensatz zu mir!], »weil, wenn vom moralischen Wert die Rede ist, es nicht auf die Handlungen ankommt, die man sieht, sondern auf jene inneren Prinzipien derselben, die man nicht sieht«. (...) Moral im Sinne Kants hakt ganz allein bei der Selbstbestimmung, dem Faktum der Vernunft, an. Sie steht auf sich selbst, bedarf keiner Gruppenmoral, bedarf keines Außenhalts. Das ist ihre Stärke.
Resignative Selbstbescheidung kommt in Kants Wörterbuch nicht vor. Seine Moral ist gefeit gegen Frust, gegen jegliche Art von Enttäuschung. (...) Also, egal, ob es fünf vor zwölf oder schon fünf nach ist, ich werde versuchen, das Rechte zu tun. (...)
Denn allein die moralische Selbstbestimmung definiert mich als Menschen. Auch wenn es »schlechterdings unmöglich« ist, durch Erfahrung einen einzigen Fall mit völliger Gewißheit auszumachen«, wo ich mich im Sinne des kategorischen Imperativs moralisch verhalten hätte! – Den Moralisten sei dies Votum Kants zu bedenken gegeben, allen moralischen Terroristen zumal: Moral läßt sich nicht dingfest machen. Nirgends, in keinem nur denkbaren Fall. In unseren virtuellen Erfahrungsräumen, der Sekundärwirklichkeit, bildet sich die Primärwirklichkeit, Freiheit, immer nur gebrochen, zweideutig, vieldeutig ab. So daß auch »bei der schärfsten Selbstprüfung« auf die Moralität »nicht mit Sicherheit geschlossen werden« kann, deren sich die Tugendwächter jeder Couleur bezüglich der eigenen Person so sicher zu sein glauben. Alle »eigenliebige Selbstschätzung« gerät unweigerlich zum Possenspiel, »weil die Tiefe des Herzens« dem Menschen »unerforschlich« ist.
Kein Ethiker vor und nach ihm hat der moralischen Selbstüberschätzung so vehement widerstanden wie Kant. Seine Moral ist darum nicht elitär, menschenverachtend, sondern menschenfreundlich wie keine andere. Es ist also nur konsequent, wenn Kants Ethik sich, fern aller Laxheit, dem höchsten nur denkbaren Standard verpflichtet: die Menschheit als Solidaridee sowohl in der eigenen Person als auch in der Person eines jeden anderen zu achten. Und das eben bedeutet, gerade weil die Verhältnisse sind, wie sie sind, sich moralischer Kurzatmigkeit zu widersetzen, langen Atem zu behalten. Daraus schöpft Kants Moralphilosophie ihre Unaufgeregtheit.
Schwärmerische Askese, die (...) mit »Selbstpeinigung und Fleischeskreuzigung« zu Werke geht, dient nicht der Tugend, wiederholt Kant immer wieder. Befördert wird diese allein durch »ethische Gymnastik«, eine praktische Moral, in der sich das »jederzeit fröhliche Herz des tugendhaften Epikur« zu erkennen gibt.
[Anm.: sämtliche in der Passage enthaltenen Zitate stammen aus Kants Werken]
Die im Folgenden von mir vorgenommene Zusammenstellung von Textpassagen ist nur insofern objektiv zu nennen, als sie allein den Gegenstand, nämlich den »kategorischen Imperativ« selbst (und dessen unterschiedliche Fassungen) im Blick hat. Die getroffene Auswahl der mitgelieferten Auffüllungen durch jeweils umgebenden Text ist dagegen subjektiv und soll – so hoffe ich – lediglich dazu dienen, Aussagen Kants zumindest ansatzweise in ihren jeweiligen Begründungszusammenhängen erkennbar und nachvollziehbar werden zu lassen.
Dabei sind die für die Zeit Kants spezifischen Spracheigenheiten (aufgrund fehlender allgemein verbindlicher Standards) sowohl in grammatikalischer, orthographischer sowie die Interpunktion betreffender Hinsicht unverändert (u. z. entsprechend der von mir verwendeten Werkausgabe von W. Weischedel) übernommen worden (und beruhen in diesem Falle – was für ein Glück! – nicht auf sprachlichen Unzulänglichkeiten meinerseits!).
[23.02.2012 – Foto ergänzt: 26.06.2012] |
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[aufgenommen im
IKG - Bad Oeynhausen
am 03.04.2012]
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Kants »kategorischer Imperativ« – Zusammenstellung von Textpassagen aus seinen Werken
1. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1. Aufl. 1785 / 2. Aufl. 1786)
TITEL / TEXT / QUELLENANGABE |
SEITE |
BEMERKUNGEN |
Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten
(...) |
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Die Vorstellung eines objektiven Prinzips, sofern es für einen Willen nötigend ist, heißt ein Gebot (der Vernunft) und die Formel des Gebots heißt Imperativ. |
S.41 |
ein Imperativ ist ein normatives Urteil, ein Satz, der ein Sollen, eine praktische Notwendigkeit ausspricht |
Alle Imperativen werden durch ein Sollen ausgedrückt, und zeigen dadurch das Verhältnis eines objektiven Gesetzes der Vernunft zu einem Willen an, der seiner subjektiven Beschaffenheit nach dadurch nicht notwendig bestimmt wird (eine Nötigung).
(...) |
S.42 |
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Alle Imperativen nun gebieten entweder hypothetisch, oder kategorisch. Jene stellen die praktische Notwendigkeit einer möglichen Handlung als Mittel, zu etwas anderem, was man will (oder doch möglich ist, daß man es wolle), zu gelangen, vor. Der kategorische Imperativ würde der sein, welcher eine Handlung als für sich selbst, ohne Beziehung auf einen andern Zweck, als objektiv-notwenig vorstellte. (...) Wenn nun die Handlung bloß wozu anderes, als Mittel, gut sein würde, so ist der Imperativ hypothetisch; wird sie als an sich gut vorgestellt, mithin als notwendig in einem an sich der Vernunft gemäßen Willen, als Prinzip desselben, so ist er kategorisch.
(...) |
S.43 |
in den hypothetischen Imperativen handelt es sich um ein bedingtes Sollen i. H. a. einen Zweck, zu dessen Erreichung etwas als Mittel vorgeschrieben ist;
der kategorische Imperativ drückt ein unbedingtes Sollen, eine absolute Forderung (Norm) der Vernunft aus, ohne Rücksicht auf einen Zweck, eine Absicht, einen Inhalt des Willens |
Endlich gibt es einen Imperativ, der, ohne irgend eine andere durch ein gewisses Verhalten zu erreichende Absicht als Bedingung zum Grunde zu legen, dieses Verhalten unmittelbar gebietet. Dieser Imperativ ist kategorisch. Er betrifft nicht die Materie der Handlung und das, was aus ihr erfolgen soll, sondern die Form und das Prinzip, woraus sie selbst folgt, und das Wesentlich-Gute derselben besteht in der Gesinnung, der Erfolg mag sein, welcher er wolle. Dieser Imperativ mag der der Sittlichkeit heißen.
(...) |
S.45 |
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Wir werden also die Möglichkeit eines kategorischen Imperativs gänzlich a priori zu untersuchen haben, da uns hier der Vorteil nicht zu statten kommt, daß die Wirklichkeit desselben in der Erfahrung gegeben, und also die Möglichkeit nicht zur Festsetzung, sondern bloß zur Erklärung nötig wäre.
(...) |
S.50 |
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a priori: von der Erfahrung oder Wahrnehmung unabhängig; aus dem Verstand / der Vernunft durch logisches Schließen gewonnen; aus Vernunftgründen;
i. Ggs. zu a posteriori: aus der Erfahrung gewonnen; auf Erfahrung gründend
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der kategorische Imperativ gilt nach Kant als das oberste Moralprinzip bzw. das oberste Prinzip der Sittlichkeit und kann somit als Ausdruck einer |
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Vernunft- und Gesinnungsethik, |
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Pflichtethik, |
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formalen (formalistischen) Gesetzesethik, |
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Ethik der Menschenwürde angesehen werden |
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Wenn ich mir einen hypothetischen Imperativ überhaupt denke, so weiß ich nicht im voraus, was er enthalten werde: bis mir die Bedingung gegeben ist. Denke ich mir aber einen kategorischen Imperativ, so weiß ich sofort, was er enthalte. Denn da der Imperativ außer dem Gesetze nur die Notwendigkeit der Maxime* enthalte, diesem Gesetze gemäß zu sein, das Gesetz aber keine Bedingung enthält, auf die es eingeschränkt war, so bleibt nichts, als die Allgemeinheit eines Gesetzes überhaupt übrig, welchem die Maxime der Handlung gemäß sein soll, und welche Gemäßheit allein den Imperativ eigentlich als notwendig vorstellt.
(...)
* |
Maxime ist das subjektive Prinzip zu handeln, und muß vom objektiven Prinzip, nämlich dem praktischen Gesetze, unterschieden werden. Jene enthält die praktische Regel, die die Vernunft den Bedingungen des Subjekts gemäß (...) bestimmt, und ist also der Grundsatz, nach welchem das Subjekt handelt; das Gesetz aber ist das objektive Prinzip, gültig für jedes vernünftige Wesen, und der Grundsatz, nach dem es handeln soll, d. i. ein Imperativ. |
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S.51 |
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vgl. zum Begriff »Maxime« auch folgende Anmerkung: |
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Maxime ist das subjektive Prinzip des Wollens; das objektive (d. i. dasjenige, was allen vernünftigen Wesen auch subjektiv zum praktischen Prinzip dienen würde, wenn Vernunft volle Gewalt über das Begehrungsvermögen hätte) ist das praktische Gesetz.
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in: |
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten – (1785) 1786
Immanuel Kant, Werke VII – Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie 1.
Hrsg. v. W. Weischedel; Wiesbaden 1956 |
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(S.27) |
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Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten
(...)
Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger, und zwar dieser: |
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handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.
(...)
in: |
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten – (1785) 1786
Immanuel Kant, Werke VII – Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie 1.
Hrsg. v. W. Weischedel; Wiesbaden 1956 |
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S.51 |
1. Fassung (Version) des kategorischen Imperativs |
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Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten
(...) |
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Wenn nun aus diesem einigen Imperativ alle Imperativen der Pflicht, als aus ihrem Prinzip, abgeleitet werden können, so werden wir, ob wir es gleich unausgemacht lassen, ob nicht überhaupt das, was man Pflicht nennt, ein leerer Begriff sei, doch wenigstens anzeigen können, was wir dadurch denken und was dieser Begriff sagen wolle.
Weil die Allgemeinheit des Gesetzes, wornach Wirkungen geschehen, dasjenige ausmacht, was eigentlich Natur im allgemeinsten Verstande (der Form nach), d. i. das Dasein der Dinge, heißt, so fern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist, so könnte der allgemeine Imperativ der Pflicht auch so lauten: |
S.51 |
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handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetz werden sollte.
(...)
in: |
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten – (1785) 1786
Immanuel Kant, Werke VII – Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie 1.
Hrsg. v. W. Weischedel; Wiesbaden 1956 |
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S.51 |
2. Fassung (Version) des kategorischen Imperativs
nach Ansicht Ludwigs (vgl. dort S. 75f) wohl interessanteste Fassung aufgrund der illustrierenden Beispiele Kants |
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Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten
(...) |
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Der Wille wird als ein Vermögen gedacht, der Vorstellung gewisser Gesetze gemäß sich selbst zum Handeln zu bestimmen. Und ein solches Vermögen kann nur in vernünftigen Wesen anzutreffen sein. Nun ist das, was dem Willen zum objektiven Grunde seiner Selbstbestimmung dient, der Zweck, und dieser, wenn er durch bloße Vernunft gegeben wird, muß für alle vernünftige Wesen gleich gelten. Was dagegen bloß den Grund der Möglichkeit der Handlung enthält, deren Wirkung Zweck ist, heißt das Mittel. Der subjektive Grund des Begehrens ist die Triebfeder, der objektive des Wollens der Bewegungsgrund; daher der Unterschied zwischen subjektiven Zwecken, die auf Triebfedern beruhen, und objektiven, die auf Bewegungsgründe ankommen, welche für jedes vernünftige Wesen gelten. Praktische Prinzipien sind formal, wenn sie von allen subjektiven Zwecken abstrahieren; sie sind aber material, wenn sie diese, mithin gewisse Triebfedern, zum Grunde legen. (...)
Gesetzt aber, es gäbe etwas, dessen Dasein an sich selbst einen absoluten Wert hat, was, als Zweck an sich selbst, ein Grund bestimmter Gesetze sein könnte, so würde in ihm, und nur in ihm allein, der Grund eines möglichen kategorischen Imperativs, d. i. praktischen Gesetzes, liegen.
Nun sage ich: der Mensch, und überhaupt jedes vernünftige Wesen, existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen, sondern muß in allen seinen, sowohl auf sich selbst, als auch auf andere vernünftige Wesen gerichteten Handlungen jederzeit zugleich als Zweck betrachtet werden. (...)
Wenn es denn also ein oberstes praktisches Prinzip, und, in Ansehung des menschlichen Willens, einen kategorischen Imperativ geben soll, so muß es ein solches sein, das aus der Vorstellung dessen, was notwendig für jedermann Zweck ist, weil es Zweck an sich selbst ist, ein objektives Prinzip des Willens ausmacht, mithin zum allgemeinen praktischen Gesetz dienen kann. Der Grund dieses Prinzips ist: die vernünftige Natur existiert als Zweck an sich selbst. So stellt sich notwendig der Mensch sein eigenes Dasein vor; so fern ist es also ein subjektives Prinzip menschlicher Handlungen. So stellt sich aber auch jedes andere vernünftige Wesen sein Dasein, zufolge eben desselben Vernunftgrundes, der auch für mich gilt, vor; also ist es zugleich ein objektives Prinzip, woraus, als einem obersten praktischen Grunde, alle Gesetze des Willens müssen abgeleitet werden können. Der praktische Imperativ wird also folgender sein: |
S.59 |
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Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.
(...)
in: |
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten – (1785) 1786
Immanuel Kant, Werke VII – Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie 1. Hrsg. v. W. Weischedel; Wiesbaden 1956 |
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S.61 |
3. Fassung (Version) des kategorischen Imperativs |
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Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten
(...) |
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Man denke ja nicht, daß hier das triviale: quod tibi non vis fieri etc. zur Richtschnur oder Prinzip dienen könne. Denn es ist, obzwar mit verschiedenen Einschränkungen, nur aus jenem abgeleitet; es kann kein allgemeines Gesetz sein, denn es enthält nicht den Grund der Pflichten gegen sich selbst, nicht der Liebespflichten gegen andere (denn mancher würde es gern eingehen, daß andere ihm nicht wohltun sollen, wenn er es nur überhoben sein dürfte, ihnen Wohltat zu erzeigen), endlicht nicht der schuldigen Pflichten gegen einander; denn der Verbrecher würde aus diesem Grunde gegen seine strafenden Richter argumentieren, u. s. w.
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in: |
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten – (1785) 1786
Immanuel Kant, Werke VII – Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie 1. Hrsg. v. W. Weischedel; Wiesbaden 1956 |
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S.62
Anm. |
der kategorische Imperativ ist nicht zu verwechseln mit der sog. »Goldenen Regel«, die da lautet: Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu!;
vielmehr handelt es sich bei der »Goldenen Regel« um einen hypothetischen Imperativ, weil
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sie einen Zweck verfolgt, u. z. die Vermeidung von Dingen, die man nicht will, |
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die Verallgemeinerung nur auf Handlungen zutrifft, nicht aber auf die Maximen, |
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Kant sich vor allem gegen die negative Form wendet; |
das Sprichwort (der Sinnspruch) lautet vollständig: Quod tibi non vis fieri, alteri ne feceris! und soll vom römischen Kaiser Alexander Severus (208–235) stammen;
die Übersetzung lautet: Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu!;
ähnlich heißt es im NT bei Matthäus 7, 12: Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch! |
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Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten
(...) |
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Dieses Prinzip der Menschheit und jeder vernünftigen Natur überhaupt, als Zweck an sich selbst (welche die oberste einschränkende Bedingung der Freiheit der Handlungen eines jeden Menschen ist), ist nicht aus der Erfahrung entlehnt, erstlich, wegen seiner Allgemeinheit, da es auf alle vernünftige Wesen überhaupt geht, worüber etwas zu bestimmen keine Erfahrung zureicht; zweitens, weil darin die Menschheit nicht als Zweck der Menschen (subjektiv), d. i. als Gegenstand, den man sich von selbst wirklich zum Zwecke macht, sondern als objektiver Zweck, der, wir mögen Zwecke haben, welche wir wollen, als Gesetz die oberste einschränkende Bedingung aller subjektiven Zwecke ausmachen soll, vorgestellt wird, mithin aus reiner Vernunft entspringen muß. Es liegt nämlich der Grund aller praktischen Gesetzgebung objektiv in der Regel und der Form der Allgemeinheit, die sich ein Gesetz (allenfalls Naturgesetz) zu sein fähig macht (nach dem ersten Prinzip), subjektiv aber im Zwecke; das Subjekt aller Zwecke aber ist jedes vernünftige Wesen, als Zweck an sich selbst (nach dem zweiten Prinzip): hieraus folgt nun das dritte praktische Prinzip des Willens, als oberste Bedingung der Zusammenstimmung desselben mit der allgemeinen praktische Vernunft, die Idee des Willens jedes vernünftigen Wesens als eines allgemein gesetzgebenden Willens.
(...) |
S.63 |
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Dieses mochte nun ein eigenes oder fremdes Interesse sein. Aber alsdann mußte der Imperativ jederzeit bedingt ausfallen, und konnte zum moralischen Gebote gar nicht taugen. Ich will also diesen Grundsatz das Prinzip der Autonomie des Willens, im Gegensatz mit jedem andern, das ich deshalb zur Heteronomie zähle, nennen.
Der Begriff eines jeden vernünftigen Wesens, das sich durch alle Maximen seines Willens als allgemein gesetzgebend betrachten muß, um aus diesem Gesichtspunkte sich selbst und seine Handlungen zu beurteilen, führt auf einen ihm anhängenden sehr fruchtbaren Begriff, nämlich den eines Reichs der Zwecke.
Ich verstehe aber unter einem Reiche die systematische Verbindung verschiedener vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche Gesetze. Weil nun Gesetze die Zwecke ihrer allgemeinen Gültigkeit nach bestimmen, so wird, wenn man von dem persönlichen Unterschiede vernünftiger Wesen, imgleichen allem Inhalte ihrer Privatzwecke abstrahiert, ein Ganzes aller Zwecke (sowohl der vernünftigen Wesen als Zwecke an sich, als auch der eigenen Zwecke, die ein jedes sich selbst setzen mag), in systematischer Verknüpfung, d. i. ein reich der Zwecke gedacht werden können, welches nach obigen Prinzipien möglich ist.
Denn vernünftige Wesen stehen alle unter dem Gesetz, daß jedes derselben sich selbst und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle. Hierdurch aber entspringt eine systematische Verbindung vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche objektive Gesetze, d. i. ein Reich, welches, weil diese Gesetze eben die Beziehung dieser Wesen auf einander, als Zwecke und Mittel, zur Absicht haben, ein Reich der Zwecke (freilich nur ein Ideal) heißen kann.
Es gehört aber ein vernünftiges Wesen als Glied zum Reiche der Zwecke, wenn es darin zwar allgemein gesetzgebend, aber auch diesen Gesetzen selbst unterworfen ist. Es gehört dazu als Oberhaupt, wenn es als gesetzgebend keinem Willen eines andern unterworfen ist. |
S.66 |
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Autonomie: Unabhängigkeit; Selbstbestimmtheit; Willensfreiheit |
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Heteronomie: Abhängigkeit von anderer als der eigenen sittlichen Gesetzlichkeit); Fremdbestimmtheit |
Kants gegebene Erklärung des Begriffs Reich der Zwecke, der nach seiner Auffassung neben anderen bedeutsamen Begriffen ebenfalls unerlässlich zur Herleitung und definitorisch festlegenden Bestimmung des Sittengesetzes ist
Hier haben wir ein Spiegelbild von Kants moralischem Ideal: eine Gemeinschaft vernünftiger Wesen, wo keiner den anderen als Mittel zum Zweck betrachtet und wo der Mensch die Würde des Selbstzweckes besitzt; wo der sittliche Mensch Glied einer idealen Willensgemeinschaft ist; wo zwar von den Privatzwecken inhaltlich abstrahiert wird, wo diese aber (wenn sie mit dem allgemeinen Sittengesetz vereinbar sind) eingebettet sind in den Rahmen des Ganzen, des systematischen Reiches der Zwecke.
(aus: R. Ludwig, Kant für Anfänger. Der kategorische Imperativ – S. 93f) |
Das vernünftige Wesen muß sich jederzeit als gesetzgebend in einem durch Freiheit des Willens möglichen Reiche der Zwecke betrachten, es mag nun sein als Glied, oder als Oberhaupt. Den Platz des letztern kann es aber nicht bloß durch die Maxime seines Willens, sondern nur alsdann, wenn es ein völlig unabhängiges Wesen, ohne Bedürfnis und Einschränkung seines dem Willen adäquaten Vermögens ist, behaupten.
(...)
in: |
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten – (1785) 1786
Immanuel Kant, Werke VII – Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie 1. Hrsg. v. W. Weischedel; Wiesbaden 1956 |
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S.67 |
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Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten
(...) |
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Moralität besteht also in der Beziehung aller Handlung auf die Gesetzgebung (...). Diese Gesetzgebung muß aber in jedem vernünftigen Wesen selbst angetroffen werden, und aus seinem Willen entspringen können, dessen Prinzip also ist: |
S.67 |
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keine Handlung nach einer andern Maxime zu tun, als so, daß es auch mit ihr bestehen können, daß sie ein allgemeines Gesetz sei, und also nur so, daß der Wille durch seine Maxime sich selbst zugleich als allgemein gesetzgebend betrachten könne. Sind nun die Maximen mit diesem objektiven Prinzip der vernünftigen Wesen, als allgemein gesetzgebend, nicht durch ihre Natur schon notwendig einstimmig, so heißt die Notwendigkeit der Handlung nach jenem Prinzip praktische Nötigung, d. i. Pflicht. Pflicht kommt nicht dem Oberhaupte im Reiche der Zwecke, wohl aber jedem Gliede, und zwar allen in gleichem Maße, zu.
(...)
in: |
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten – (1785) 1786
Immanuel Kant, Werke VII – Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie 1. Hrsg. v. W. Weischedel; Wiesbaden 1956 |
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S.67 |
4. Fassung (Version) des kategorischen Imperativs |
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Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten
(...) |
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Und was ist es denn nun, was die sittlich gute Gesinnung oder die Tugend berechtigt, so hohe Ansprüche zu machen? Es ist nicht Geringeres als der Anteil, den sie dem vernünftigen Wesen an der allgemeinen Gesetzgebung verschafft, und es hiedurch zum Gliede in einem möglichen Reich der Zwecke tauglich macht, wozu es durch seine eigene Natur schon bestimmt war, als Zweck an sich selbst und als eben darum als gesetzgebend im Reich der Zwecke, in Ansehung aller Naturgesetze als frei, nur denjenigen allein gehorchend, die es selbst gibt und nach welchen seine Maximen zu einer allgemeinen Gesetzgebung (der er sich zugleich selbst unterwirft) gehören können. (...) Die Gesetzgebung selbst aber, die allen Wert bestimmt, muß eben darum eine Würde, d. i. unbedingten, unvergleichbaren Wert haben, für welchen das Wort Achtung allein den geziemenden Ausdruck der Schätzung abgibt, die ein vernünftiges Wesen über sie anzustellen hat. Autonomie ist also der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur.
Die angeführten drei Arten, das Prinzip der Sittlichkeit vorzustellen, sind aber im Grunde nur so viele Formeln eben desselben Gesetzes, deren die eine die anderen zwei von selbst in sich vereinigt. Indessen ist doch eine Verschiedenheit in ihnen, die zwar eher subjektiv als objektiv-praktisch ist, nämlich, um die Idee der Vernunft der Anschauung (nach einer gewissen Analogie) und dadurch dem Gefühle näher zu bringen. Alle Maximen haben nämlich
1) eine Form, welche in der Allgemeinheit besteht, und da ist die Formel des sittlichen Imperativs so ausgedrückt: daß die Maximen so müssen gewählt werden, als ob sie wie allgemeine Naturgesetz gelten sollten; |
S.69 |
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Analogie: Entsprechung; Ähnlichkeit; Gleichheit von Verhältnissen |
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2) eine Maxime, nämlich einen Zweck, und da sagt die Formel: daß das vernünftige Wesen, als Zweck seiner Natur nach, mithin als Zweck an sich selbst, jeder Maxime zur einschränkenden Bedingungen aller bloß relativen und willkürlichen Zwecke dienen müsse;
3) eine vollständige Bestimmung aller Maximen durch jene Formel, nämlich: daß alle Maximen aus eigener Gesetzgebung zu einem möglichen Reiche der Zwecke, als einem Reiche der Natur, zusammenstimmen sollen. Der Fortgang geschieht hier, wie durch die Kategorien der Einheit der Form des Willens (der Allgemeinheit desselben), der Vielheit der Materie (der Objekte, d. i. der Zwecke), und der Allheit oder Totalität des Systems derselben. Man tut aber besser, wenn man in der sittlichen Beurteilung immer nach der strengen Methode verfährt, und die allgemeine Formel des kategorischen Imperativs zum Grunde legt: |
S.70 |
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handle nach der Maxime, die sich selbst zugleich zum allgemeinen Gesetze machen kann. Will man aber dem sittlichen Gesetze zugleich Eingang verschaffen: so ist sehr nützlich, ein und eben dieselbe Handlung durch benannte drei Begriffe zu führen, und sie dadurch, so viel sich tun läßt, der Anschauung zu nähern.
(...)
in: |
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten – (1785) 1786
Immanuel Kant, Werke VII – Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie 1. Hrsg. v. W. Weischedel; Wiesbaden 1956 |
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S.70 |
5. Fassung (Version) des kategorischen Imperativs |
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Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten
(...) |
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Wir können nunmehr da endigen, von wo wir im Anfange ausgingen, nämlich dem Begriffe eines unbedingt guten Willens. Der Wille ist schlechterdings gut, der nicht böse sein, mithin dessen Maxime, wenn sie zu einem allgemeinen Gesetz gemacht wird, sich selbst niemals widerstreiten kann. Dieses Prinzip ist also auch sein oberstes Gesetz: |
S.70 |
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handle jederzeit nach derjenigen Maxime, deren Allgemeinheit als Gesetzes du zugleich wollen kannst; dieses ist die einzige Bedingung, unter der ein Wille niemals mit sich selbst im Widerstreite sein kann, und ein solcher Imperativ ist kategorisch. Weil die Gültigkeit des Willens, als eines allgemeinen Gesetzes für mögliche Handlungen, mit der allgemeinen Verknüpfung des Daseins der Dinge nach allgemeinen Gesetzen, die das Formale der Natur überhaupt ist, Analogie hat, so kann der kategorische Imperativ auch so ausgedrückt werden: |
S.70 |
6. Fassung (Version) des kategorischen Imperativs |
Handle nach Maximen, die sich selbst zugleich als allgemeine Naturgesetze zum Gegenstande haben können. So ist also die Formel eines schlechterdings guten Willens beschaffen.
(...)
in: |
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten – (1785) 1786
Immanuel Kant, Werke VII – Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie 1. Hrsg. v. W. Weischedel; Wiesbaden 1956 |
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S.71 |
7. Fassung (Version) des kategorischen Imperativs |
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Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten
(...) |
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Die vernünftige Natur nimmt sich dadurch vor den übrigen aus, daß sie ihr selbst einen Zweck setzt. (...) Dieser kann nun nichts anders als das Subjekt aller möglichen Zwecke selbst sein, weil dieses zugleich das Subjekt eines möglichen schlechterdings guten Willens ist; denn dieser kann, ohne Widerspruch, keinem andern Gegenstande nachgesetzt werden. Das Prinzip: |
S.71 |
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handle in Beziehung auf ein jedes vernünftiges Wesen (auf dich selbst und andere) so, daß es in deiner Maxime zugleich als Zweck an sich selbst gelte, ist demnach mit dem Grundsatze: |
S.71 |
8. Fassung (Version) des kategorischen Imperativs |
handle nach einer Maxime, die ihre eigene allgemeine Gültigkeit für jedes vernünftige Wesen zugleich in sich enthält, im Grunde einerlei. Denn, daß ich meine Maxime im Gebrauche de Mittel zu jedem Zwecke auf die Bedingung ihre Allgemeingültigkeit, als eines Gesetzes für jedes Subjekt einschränken soll, sagt eben so viel, als: das Subjekt der Zwecke, d. i. das vernünftige Wesen selbst, muß niemals bloß als Mittel, sondern als oberste einschränkende Bedingung im Gebrauche aller Mittel, d. i. jederzeit zugleich als Zweck, allen Maximen der Handlungen zum Grunde gelegt werden.
(...)
in: |
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten – (1785) 1786
Immanuel Kant, Werke VII – Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie 1. Hrsg. v. W. Weischedel; Wiesbaden 1956 |
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S.71 |
9. Fassung (Version) des kategorischen Imperativs |
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Schlußanmerkung
Der spekulative Gebrauch der Vernunft, in Ansehung der Natur, führt auf absolute Notwendigkeit irgend einer obersten Ursache der Welt; der praktische Gebrauch der Vernunft, in Absicht auf die Freiheit, führt auch auf absolute Notwendigkeit, aber nur der Gesetze der Handlungen eines vernünftigen Wesens, als eines solchen. Nun ist es ein wesentliches Prinzip alles Gebrauchs unserer Vernunft, ihr Erkenntnis bis zum Bewußtsein ihrer Notwendigkeit zu treiben (denn ohne diese wäre sie nicht Erkenntnis der Vernunft). Es ist aber auch eine eben so wesentliche Einschränkung eben derselben Vernunft, daß sie weder die Notwendigkeit dessen, was da ist, oder was geschieht, noch dessen, was geschehen soll, einsehen kann, wenn nicht eine Bedingung, unter der es da ist, oder geschieht, oder geschehen soll, zum Grunde gelegt wird. Auf diese Weise aber wird, durch die beständige Nachfrage nach der Bedingung, die Befriedigung der Vernunft nur immer weiter aufgeschoben. Daher sucht sie rastlos das Unbedingtnotwendige, und sieht sich genötigt, es anzunehmen, ohne irgend ein Mittel, es sich begreiflich zu machen; glücklich gnug, wenn sie nur den Begriff ausfindig machen kann, der sich mit dieser mit dieser Voraussetzung verträgt. Es ist also kein Tadel für unsere Deduktion des obersten Prinzips der Moralität, sondern ein Vorwurf, den man der menschlichen Vernunft überhaupt machen müßte, daß sie ein unbedingtes praktisches Gesetz (dergleichen der kategorische Imperativ sein muß) seiner absoluten Notwenigkeit nach nicht begreiflich machen kann; denn, daß sie dieses nicht durch eine Bedingung, nämlich vermittelst irgend eines zum Grunde gelegten Interesse, tun will, kann ihr nicht verdacht werden, weil es alsdenn kein moralisches, d. i. oberstes Gesetz der Freiheit, sein würde. Und so begreifen wir zwar nicht die praktische unbedingte Notwendigkeit des moralischen Imperativs, wir begreifen aber doch seine Unbegreiflichkeit, welches alles gilt, was billigermaßen von einer Philosophie, die bis zur Grenze der menschlichen Vernunft in Prinzipien strebt, gefodert werden kann.
in: |
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten – (1785) 1786
Immanuel Kant, Werke VII – Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie 1. Hrsg. v. W. Weischedel; Wiesbaden 1956 |
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S.101 |
zu einer einigermaßen angemessenen Beurteilung bzw. Kritik der zweifellos strengen, mithin rigorosen Pflichtethik oder formalistischen Gesetzesethik ist Kants Schlussanmerkung unbedingt heranzuziehen |
Kant für Anfänger. Der kategorische Imperativ
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Eine Lese-Einführung von Ralf Ludwig
München; (1995) 5. Aufl. 1999
Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv) / Bd. 30144 / 124 Seiten
ISBN: 3-423-30144-9 |
sehr gute, durchweg verstehbar dargestellte und infolgedessen sehr empfehlenswerte Einführung in Kants kategorischen Imperativ |
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