philosophische Landschaften

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der das Spiegelbild vergrößert wiedergibt

DUDEN. Deutsches Universalwörterbuch



Dilettantisches zum Dilettanten (und zum Dilettantismus)
gekürzte Fassung für das »Friedrich-Schiller-Projekt«

Auf einmal bin ich wieder hellwach und sitze mit weit aufgestellten Ohren zu später Stunde vor dem Fernsehapparat. Es läuft das »nachtstudio«, die »Premium-Talkshow im ZDF«, zu dem Thema »Avanti Dilettanti! – Leben wir in einer Welt der Stümper?« – und mein ungeteiltes Interesse ist geweckt.

Denn mit dem DILETTANTISCHEN, dem DILETTANTEN und dem DILETTANTISMUS ist das nämlich so 'ne Sache!

Auf der Artikelseite zur Sendung vom 19.02.2012 heißt es dazu: »Der Dilettant ist eine interessante Figur (...), mäßig beliebt und landläufig eher geschmäht, denn gelobt. Und weiter heißt es: »Dilettant ist, wer nur über unzureichende Fähigkeiten verfügt, und sich in einer dadurch unangemessenen Position befindet und dort handelt, ohne genau zu wissen, was er tut. Der natürliche Feind des Dilettanten ist der Experte, also der, der wirklich Bescheid weiß. (...).«


Wenn auch die im Folgenden vorgenommene, verkürzende Aneinanderreihung einzelner Äußerungen der »Fach«-Teilnehmer[1] an der (nicht nur für mich) sehr aufschlussreichen Diskussion zum o. g. Thema
- zum einen den gedanklich-argumentativen Zusammenhang des tatsächlichen GesprächsVerlaufs nicht darstellt (sondern vielmehr »meinen eigenen Interessen« entspricht) und
- zum anderen der gesprochene Wortlaut (soweit ich ihn seinerzeit mehr schlecht als recht zu verschriftlichen[2] versucht habe – eben »dilettantisch«) bisweilen (wie ich meine) schriftsprachlichen Anforderungen vorsichtig angepasst, nicht jedoch in ihrer Inhaltlichkeit, ihrer Aussage verändert worden ist,
möchte ich nicht darauf verzichten, an dieser Stelle den einen oder anderen Auszug aus den Beiträgen wiederzugeben, um die Ambiguität des Begriffs »Dilettant« in Umrissen erkennbar werden zu lassen. Denn der Begriff des Dilettanten und des Dilettantismus sei »eigentlich nicht bestimmt. Es kann jeder darunter verstehen, was er will« (Rietzschel).


Eine Frage, die sich (auch mir) stellt, ist: »[W]ann wirft man jemandem eigentlich vor, er sei ein Dilettant?« (Wirth)

Die geläufige Antwort lautet (etwa) so: »Dass der Dilettant jemand ist, der das, was er tut, nicht beherrscht oder nicht richtig beherrscht, weiß jeder Dilettant und wirft es dem anderen vor.« Der Dilettant glaube immer, »das zu können, was er können will. Er lebt aus dem Wollen heraus, nicht aus dem Können. Er meint, ich will das können, also kann ich’s. Seine Realität ist die Illusion. (...) Seine Kunst, die er beherrscht, ist eben die, sich und den anderen etwas vorzumachen, die Kompetenz, die er gern hätte und die man auch von ihm erwartet, vorzuspiegeln. (...)« – »Und der Dilettant vertritt keine Interessen außer den eigenen. Er ist an keiner Sache interessiert.« Problematisch werde es dort, »wo etwas probiert wird, was man nicht kann, nur (...) zum eigenen Vergnügen, wo der Dilettantismus narzisstisch wird.« (Rietzschel)


Die Negativkonnotation, die den Begriffen »Dilettant« sowie »Dilettantismus« bis heute anhaftet, das Woher der »sehr hohen Standards, wo wir sagen: der bastelt ja nur, der kann das ja gar nicht«, das Einsetzen jener »Kehrseite der Professionalität« – so die pointierte These Wirths – »passiert um 1800 – Schiller ist schuld, da wird was gedreht.« (Wirth)

Nun ist es raus! – Jetzt weiß ich es: Der im 19. Jahrhundert zum Denkmalheroen aufgebaute Schiller ist also dafür verantwortlich!


Der »Begriff, der Ismus-Begriff des Dilettanten« sei von Schiller eingeführt worden, sozusagen »als kunstkritische Invektive« (Wirth). – Dabei fällt mir unwillkürlich ein bekanntes Distichon Schillers ein, das in diesem Zusammenhang allerdings eine etwas anders zu lesende Bedeutung erfährt, einen etwas anderen Zungenschlag bekommt:

»87. Dilettant
Weil ein Vers dir gelingt in einer gebildeten Sprache,
Die für dich dichtet und denkt, glaubst du schon Dichter zu sein?«
[3]

Seinen dauerhaften Niederschlag gefunden hat der Begriff dann in dem »weitgehend von Schiller niedergeschriebenen«[4] und – so wird vermutet – auch konzeptionell von Schiller entwickelten »Schema über den Dilettantismus«. Hervorgegangen sind der Begriff und die Fragment gebliebenen Schemata, die in der redigierten, uns heute vorliegenden Fassung so nie zu Lebzeiten Schillers veröffentlicht worden sind[5], aus gemeinsamen Gesprächen mit Goethe (1798/99) über den »Nutzen« und »Schaden« in unterschiedlichen »Fach«-Gebieten.


Fotos aufgenommen in Schillers Gartenhaus und dem dazugehörigen Garten in Jena



In den (eher stichsatzartigen) Erläuterungen Schillers (und Koautors Goethe) liest sich das dann so:

»Weil der Dilettant seinen Beruf zum Selbstproduzieren erst aus den Wirkungen der Kunstwerke auf sich empfängt, so verwechselt er diese Wirkungen mit den objektiven Ursachen und Motiven, und meint nun den Empfindungszustand in den er versetzt ist auch produktiv und praktisch zu machen. (...) Überhaupt will der Dilettant in seiner Selbstverkennung das Passive an die Stelle des Aktiven setzen, und weil er auf eine lebhafte Weise Wirkungen erleidet, so glaubt er mit diesen erlittenen Wirkungen wirken zu können. (...) Dilettanten oder eigentl. Pfuscher scheinen (...) nicht nach einem Ziel zu streben, nicht vor sich hin zu sehen, sondern nur das was neben ihnen geschieht; darum vergleichen sie auch immer, sind meistens im Lob übertrieben, tadeln ungeschickt, haben eine unendliche Ehrerbietung vor ihresgleichen; geben sich dadurch ein Ansehen von Freundlichkeit, von Billigkeit, indem sie doch bloß sich selbst erheben.«[6]

Und Heinrich Meyer, ein gemeinsamer Bekannter Schillers und Goethes, fügt dem noch erweiternd hinzu: »Der Dilettant scheut allemal das Gründliche, überspringt die Erlernung notwendiger Kenntnisse, um zur Ausübung zu gelangen (...).« Man treffe »viele Dilettanten mit großen Sammlungen an, ja man könnte behaupten, alle großen Sammlungen sind vom Dilettanten entstanden; denn er artet meistens (...) in die Sucht aus zusammenzuraffen; er will nur besitzen, nicht mit Verstand wählen, und sich mit Wenigem und Gutem zu begnügen. (...)« Der Dilettant treibe »alles als ein Spiel, als Zeitvertreib, hat meist noch einen Nebenzweck, eine Neigung zu stillen, der Laune nachzugeben (...).«[7]

Verflixte Kiste! Das sitzt! Wie drei Pfeile im 20er-TripleFeld einer Dartscheibe! Und trifft in (fast) allen Punkten auch auf mich zu!

Eine andere Frage, die sich (nicht nur mir) offenbar aufdrängt, ist: »[W]arum unterscheidet man überhaupt zwischen Dilettanten und Nichtdilettanten? Also, wer hat etwas von dieser Unterscheidung?« Es seien – und das könne man »ganz schön im 19. Jahrhundert zum Beispiel an der Herausbildung meines Faches, der Germanistik, zeigen – (...) die neuen Fachvertreter, die ein ganz großes Interesse haben, etwas zu zertifizieren und diejenigen zu sein, die zertifizieren. Das heißt, sich selbst in eine Position zu setzen, wo sie Türsteherfunktion haben, und zu sagen, wer ist draußen, wer ist drin. Und die, die draußen sind, sind natürlich die Dilettanten. Zum Teil gehe das soweit, dass »selbst die Fachkollegen, die (...) eine andere Meinung vertreten, auch als Dilettanten beschimpft werden.« (Wirth)

Sieh’ mal an! Unliebsame Konkurrenz wegbeißende Stallmeister – nicht gerade überraschend! Aber zeigt sich so tatsächliche Fachkompetenz? Zeigt sich so Souveränität im Wissen – und insbesondere im Nichtwissen?


Was bleibt aus meiner Sicht in »dilettantischer Manier« noch zu sagen? Eigentlich nichts. – Doch, nämlich dieses:
Ich weiß, dass ich nicht mitreißend schreiben kann – deswegen schreibe ich!
Ich weiß, dass meine fachwissenschaftlichen Kompetenzen und Kenntnisse unzureichend sind – deswegen zitiere ich!
Ich weiß, dass ich überhaupt nichts Neues zu sagen habe – deswegen sammele ich!
Ich weiß, dass ich außer den meinen keine anderen Interessen vertrete – deswegen vertrete ich sie!

Ich sehe und verstehe mich als einen, u. z. im ursprünglichen Sinne überzeugten »Dilettanten«: als jemanden, der ungelenk launig durch sprachliches Terrain stolpert, der weit vom gerade aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstand entfernt sich bewegt (und den das noch nicht mal sonderlich kümmert), der selbstverliebt und selbstgerecht und von einer ignoranten Arroganz beseelt ist, »der das, was er tut, nicht beherrscht oder nicht richtig beherrscht« und Gleiches »dem anderen vor[wirft]«[8], der Freude an der Philosophie und am Philosophieren hat und sich dabei des »eigenen Verstandes«[9] zu bedienen versucht, der sich den drei Regeln für das Philosophieren [1. »Selbst denken«, 2. »Sich (in der Mitteilung mit Menschen) in die Stelle jedes anderen zu denken«, 3. »Jederzeit mit sich selbst einstimmig zu denken«[10]] verpflichtet fühlt, der all das aus purer Liebhaberei betreibt, der zum eigenen Vergnügen »Dilettant« ist (und auch nichts anderes sein will) – und der sich (augenzwinkernd) akribisch der Fußnote verschrieben hat!


Vielleicht – und dies ist nur eine unmaßgebliche (»dilettantische«) Spekulation! –, vielleicht ist es Schiller angesichts seiner rigiden Abqualifizierung des Dilettanten selbst etwas mulmig geworden, wenn er den Wilhelm Tell im gleichnamigen »Schauspiel« gegenüber seiner Gattin Hedwig sagen lässt: »Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten.«[11] – Würde zeitlich auch durchaus passen. Denn die Gespräche Schillers mit Goethe über den Dilettantismus sollen etwa 1798/99 geführt worden sein, während der Beginn der Ausarbeitung bzw. der Niederschrift des »Wilhelm Tell« auf das Jahr 1803 datiert. Aber wer weiß das schon so genau?!?

Aus- und gleichsam abschalten möchte ich mit den SchlussWorten Panzers (und seinem dabei auf mich und alle anderen Dilettanten gerichteten Zeigefinger) zur »nachtstudio«-Sendung, die da lauten: »Vielleicht haben Sie ja innerlich mitdiskutiert und zu sich gesagt: ›Ja, genau so ist es!‹«

In diesem Sinne: »Avanti Dilettanti!«



[1] Teilnehmer an der Diskussion mit Volker Panzer (Moderator) sind Thomas Rietzschel (Buchautor), Michael Schmidt-Salomon (Philosoph) und Uwe Wirth (Germanist und Kulturwissenschaftler)

[2] versuchte Nachschrift des Gesprächs anhand (und auf der Grundlage) der auf der ZDF-Internetseite allgemein zugänglichen Video-Aufzeichnung der Sendung vom 19.02.2012:
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1572720/nachtstudio-vom-19.-Februar-2012
– sofern nicht anders angegeben, sind alle im Folgenden zitierten Äußerungen, Wortbeiträge aus eben dieser »nachtstudio«-Sendung

[3] in: Friedrich Schiller, Sämtliche Werke – Gedichte, Erzählungen, Übersetzungen / Hrsg. v. Helmut Koopmann / München / (1968) 7. Aufl. 2005 / Bd. III / S. 305

[4] in: Friedrich Schiller, Sämtliche Werke – Philosophische Schriften. Vermischte Schriften / Hrsg. v. Helmut Koopmann / München / (1968) 7. Aufl. 2005 / Bd. V / Anm.: S. 894

[5] wofür unterschiedliche Gründe vermutet werden:
in den Anmerkungen zu Band V / S. 895 der o. g. Werkausgabe heißt es: »(...) Schiller selbst war der Meinung, daß man den Dilettantismus mit allen Waffen angreifen müsse. Schiller aber mag vor diesem Strafgericht dann doch zurückgeschreckt sein, zumal er sich gezwungen gesehen hätte, gegen den Dilettantismus seine eigenen kritischen Grundsätze postulieren zu müssen – ein Vorhaben, das zu sehr Fragen und Probleme der eigenen Existenz berührt haben dürfte.«;
und nach Wirths Ansicht »munkelt« man, »Goethe sei da maßgeblich dran [gemeint ist natürlich die Veröffentlichung der Dilettantismus-Schemata] beteiligt gewesen, weil er selber ja auch in vielen Bereichen dilettiert hat«

[6] in: Friedrich Schiller, Sämtliche Werke – Philosophische Schriften. Vermischte Schriften / Hrsg. v. Helmut Koopmann / München / (1968) 7. Aufl. 2005 / Bd. V / S. 584f

[7] in: Friedrich Schiller, Sämtliche Werke – Philosophische Schriften. Vermischte Schriften / Hrsg. v. Helmut Koopmann / München / (1968) 7. Aufl. 2005 / Bd. V / S. 568f

[8] vgl. Rietzschel

[9] aus Kants berühmtem Aufsatz »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?«
in: Immanuel Kant, Werke – Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 1 / Hrsg. v. W. Weischedel / 1968 / Bd. XI / S. 53

[10] in: Immanuel Kant, Werke – Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 2 / Hrsg. v. W. Weischedel / 1968 / Bd. XII / S. 549

[11] in: Friedrich Schiller, Sämtliche Werke – Dramen II. Dramenfragmente / Hrsg. v. Helmut Koopmann / München / (1968) 7. Aufl. 2005 / Bd. II / S. 384


[28.03.2013]







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