philosophische Landschaften

»... wenn wir uns nur unter einander verständlich machen können ...«

Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft



mEIN BUCH – NEU

Vor fast genau zwei Jahren (nämlich am 01.04.2014) hatte ich froh lockend geschrieben, dass es »jetzt raus« sei. Was ja auch stimmte.
Doch jene Fassung ist mit dem heutigen Tag Geschichte. Denn sie enthielt einige (für meinen Geschmack zu viele!) Fehler (vor allem Orthografie und Interpunktion betreffend, aber mitunter auch im Hinblick auf grammatikalisch korrekte Syntax – Ersteres gilt in besonders bedauerlicher Weise für die Umsetzung bzw. die Umformung in eine E-Book-Version). Das ist der Grund, warum sie von der Bildfläche verschwinden und im Altpapiercontainer landen oder durch irgendeinen Papierschredder fein säuberlich in Streifen zerlegt wird.

Dennoch – und das galt seinerzeit ebenso wie zum jetzigen Zeitpunkt:
Jeder und jede, der oder die etwas veröffentlicht, ist (ob mann/frau sich das selbst eingesteht oder nicht) der Ansicht, dass er oder sie etwas Wichtiges zu sagen hat, das unbedingt der Allgemeinheit mitzuteilen ist! Weshalb sonst würde mann/frau es der Öffentlichkeit preisgeben und sich hierdurch unweigerlich dem kaum kalkulierbaren Risiko der Kritik oder gar eines Verrisses aussetzen?

Deshalb werfe ich nun meinen zweiten Versuch in den an Büchern schier überquellenden Ring – dies allerdings zum einen nicht ohne alle(?) gesichteten Fehler auszumerzen versucht zu haben (in der Hoffnung, dass mir das gelungen ist!) und zum anderen den gesamten Text an vielen Stellen überarbeitet, umgearbeitet und um ein (mir wichtig erscheinendes) »HauptSpiel» erweitert zu haben (ebenfalls mit der Hoffnung, keine neuerlichen Fehler, zumindest keine gravierenden, eingebaut zu haben – wofür ich jedoch keinerlei Garantie übernehme!).
Der (so gut wie unveränderte, zusätzlich mit einem Untertitel versehene) TITEL sowie die NEUEn BIBLIOGRAFISCHEn ANGABEN lauten:



EIN ETWAS LEICHTFERTIGES ANNÄHERUNGSSPIEL – SCHILLERs und KANTs einzigartige BEGEGNUNG
LOTHAR JAHN
Norderstedt 2016 / Zweiter, vielfach umgearbeiteter, überarbeiteter und erweiterter Versuch / Herstellung u. Verlag: BoD – Books on Demand / 392 Seiten / Hardcover / 22,99 €
ISBN 978-3-7392-3902-6


Buchcover von »Ein etwas leicht(-)fertiges Annäherungsspiel«
InhaltsVerzeichnis

ProLog 7
VorSpiel
Einladung zur Mitarbeit
11
ZwischenSpiel
Reise und Ankunft
41
Erstes HauptSpiel
Hausbesichtigung und Tischgespräch
77
Zweites HauptSpiel
Wechselwirkungen
129
Drittes HauptSpiel
Freies Spiel der Einbildungskraft
145
Viertes HauptSpiel
Klärungen
205
Fünftes HauptSpiel
Vervollständigung und Abreise
273
NachSpiel
Wiedereröffnung
313
EpiLog

325

EndnotenApparat
LiteraturAngaben
BildNachweise
MusikKatalog
333
375
381
387



Bestellt werden kann mein Buch entweder im online-shop (im »BUCHSHOP«) bei
www.bod.de
(möglich ist auch direkt zum Buch zu gelangen, u. z. unter dem Link:
Ein etwas leichtfertiges Annäherungsspiel)

... oder bei anderen online-shops, wie z. B.:
www.amazon.de
www.buchhandel.de
www.buecher.de
www.jpc.de
www.lesen.de
www.thalia.de

... oder selbstverständlich (als sog. »Print-On-Demand«) in jeder x-beliebigen Buchhandlung!





mEINE (neue) kurze KlappentextBESCHREIBUNG:

»Kein besonderes Gedenkjahr, schon gar kein rundes, weder für den einen noch für den anderen! – Dennoch: einmal angenommen, nur mal angenommen, es wäre wirklich dazu gekommen und die beiden Giganten des Geistes hätten sich zu einem gedanklichen Austausch und zu einer persönlichen Begegnung entschlossen – der eine ein frei waltender, nur mühsam zu reglementierender Wort- und Begriffsjongleur, der andere ein unnachgiebiger, kritisch analysierender und systematisch entrümpelnder Denk- und Begriffsaufklärer.
Die Rede ist von FRIEDRICH SCHILLER und IMMANUEL KANT. Die beiden treffen sich in Königsberg (dem heutigen Kaliningrad). Begleitet und ständig beobachtet werden sie in dem weitläufigen Wegenetz ihrer Denklandschaften von einer anmaßenden Ich-Figur, die sich immer wieder eigenmächtig selbst ins Spiel bringt, leichtfertig kommentierend einmischt, dazwischenredet.
Und was ist das Ganze? Ein (unordentlich historisierender) Roman? Eine (wissenschaftlich sich gebärdende) Abhandlung? Ein (allzu umfangreich betextetes) Bilderbuch? Eine (szenisch locker montierte) Gedankencollage? Ein (nur wild oszillierendes) Rollenspiel? – Nichts von allem oder: von allem etwas ...«



Um sich einen ersten Eindruck davon verschaffen zu können, was eine/n erwartet und worauf mann/frau sich ggf. einzulassen bereit ist, seien hier einige Passagen aus EIN ETWAS LEICHTFERTIGES ANNÄHERUNGSSPIEL als LesePROBEN abgedruckt (allerdings ohne die eingestreuten Bilder sowie die Anmerkungen zu den jeweiligen Endnoten):



[S. 9]

Greife ich also unerschrocken in den Zeitlauf ein, folge nicht ausgeschilderten und verbürgten Ereignissen, sondern betrete einen (wenig oder gar nicht beleuchteten) Weg durch eine abwechslungsreiche und reizvoll sich darbietende Landschaft abseits breit ausgetrampelter Pfade und lasse die beiden so unterschiedlichen Temperamente (ungeschützt) aufeinandertreffen. Dabei wohl wissend, dass ich mich in dem Dickicht vielfältig zu durchwandernder Denklandschaften verirren, dass ich mich trotz Karte und Kompass in dem weitläufigen Wegenetz von (häufig notwendigen und folglich unvermeidlichen, mitunter sogar beabsichtigten) Wiederholungen, Überschneidungen, Sprüngen verheddern kann, um hinlänglich bekannte Regionen aus einer anderen Blickrichtung zu betrachten, und so das vermessene Vorhaben am Ende (wenn es denn überhaupt zu einem Ende gebracht werden wird) als kläglich gescheitert wird angesehen werden müssen.
Dennoch: einen Versuch, bei dem ich nicht nur die ganze Zeit das Geschehen steuere, Anhalte- und Eingriffsmarken setze, sondern darüber hinaus mich immer wieder eigenmächtig selbst ins Spiel bringe und meinen Senf dazugebe, scheint es mir allemal wert, denn: Mein Unternehmen kann mißlingen, aber ich kann nie bereuen, es versucht zu haben.8



[S. 39/40]

Wenn ich darüber nachdenke, kommt mir da eine tolle (geradezu einzigartige) Idee ...
Warum eigentlich nicht? Warum die Bekanntschaft nur beginnen und nur von ferne verfeinern? Warum nicht vielmehr umgehend in Angriff nehmen und sofort in concreto aufbauen? Was soll mich, was soll uns davon abhalten? Unser Altersunterschied? Nein. Unsere unterschiedliche Profession? Auch nicht. Unsere große örtliche Entfernung? Die schon eher.
So gesehen also: nichts – oder besser: fast nichts! Das heißt, wenn er es zulässt!

Wer ist »er«? – Ach ja: ich bin »er«!
Ja selbstverständlich, Schiller! Worum denn sonst geht es in diesem Spiel? Wozu denn sonst wird dieses ganze Spiel veranstaltet?



[S. 145-151]

Wissen Sie, Schiller, dass ich mich immer wieder frage, ob es vielleicht das Wort »Pflicht« ist, das mir das wenig schmeichelhafte Etikett eines rigiden, mithin rigorosen Pflicht-Ethikers eingebracht hat ...

... und das (wenn ich das so ungeschminkt ergänzen darf) Ihre zukünftigen Interpreten und Kommentatoren dazu veranlasst hat, Sie ganz oben in der Schreckensgalerie deontologischer171 (also einer auf Pflicht und unbedingte Pflichterfüllung gebürsteten) Moralvorstellungen aufzuhängen? – Ich kann Ihnen auch eine Antwort darauf geben: Jawohl, es ist das (zumindest in unserer, das heißt in meiner Zeit) weit verpönte und äußerst unattraktive Wort »Pflicht«, das in Ihrer Ethik einen so hohen (mithin zentralen) Stellenwert einnimmt.

Aber wieso eigentlich? Ihnen, mein Freund, brauche ich nun wirklich nicht zu erklären, worin mein kritisches, mein transzendentalphilosophisches Geschäft besteht! Sie (und Sie ebenfalls!) haben die Architektur meines Denkhauses (wie kaum ein anderer) verstanden. Das haben Sie mir während der gemeinsamen Hausbegehung (oder zutreffender: Hausbeschreibung) überaus eindrucksvoll vor Augen geführt.

Bedächtig nimmt er einen Schluck und schlürft ihn mit sichtlichem Genuss. Dann zündet er ebenso bedächtig drei unterschiedlich große Kerzen, die auf dem Tisch zu eben diesem Zweck bereitgestellt sind, an. Denn die Sonne ist hinter dem Horizont verschwunden und beginnende Dunkelheit hat die Landschaft in ein schummeriges, Konturen auflösendes Licht getaucht. Auch ich nehme einen herzhaften Schluck aus meinem Glas. Wir setzen uns in die schweren Ohrensessel und machen es uns gemütlich.

Im Grunde, mein lieber Schiller, ist es doch ganz einfach: In jedem, und ich betone: jedem Spiel gibt es notwendigerweise Regeln, die von allen Spielteilnehmern unbedingt und ohne jede Ausnahme befolgt werden müssen.
Denn es ist doch wohl nicht zu bestreiten, dass klar formulierte und entsprechend bekannt gemachte Regeln das Zusammenleben, unser Zusammenleben (nicht gerade unerheblich) vereinfachen. Sie bieten jedem an und in dem Spiel Beteiligten ein großes Maß an Sicherheit und Orientierung und gewährleisten einen (mehr oder weniger) reibungslosen Verlauf des Spiels.
Sie, die Regeln, sind natürlich vorher festzulegen, und das am besten in gemeinsam getroffener Absprache und Übereinstimmung (was sich, wie jeder weiß, in der Praxis leider häufig als sehr schwierig darstellt oder nicht in jedem Fall durchführen lässt) ...

... und gelten dann unverbrüchlich wie in Stein gemeißelt für alle Zeiten! Amen! – Kant, das kann nicht Ihr Ernst sein!

Nein, ist es auch nicht. – Selbstverständlich sind Regeln nicht unverbrüchlich gültig. Denken Sie doch nur an mich in den beiden letzten Tagen! (Aber das bloß am Rande.)

(Von wegen »bloß am Rande«! Auch wenn ich mich überwiegend an diesem aufhalte, darf ich Sie nun schon zum wiederholten Mal daran erinnern, dass das immer noch mein Spiel ist und bleibt, das hier gespielt wird, und dass ich es bin, der die Regeln vorgibt.)
Nicht wenig amüsiert schaut er zu mir herüber und prostet nun auch mir zu. Dann aber wieder konzentriert und ernsthaft:

Selbstverständlich sind Regeln veränderbar, müssen sie sogar sein. Das steht doch außer Frage.
Nämlich dann, wenn die Regeln zu komplex, zu kompliziert formuliert sind, sodass statt Verhaltenssicherheit vielmehr Verunsicherung in der Auslegung und Anwendung der Regeln entstehen kann oder tatsächlich entsteht. – Nein, nein, Schiller! – Sobald dieser Punkt erreicht ist, heißt es: nachdenken. Und dies im Wortsinn, nämlich im Nachhinein denken über Inhalt, Aussage, Sinnhaftigkeit und Zweckmäßigkeit der Spielregeln, um dadurch zu anderen und vor allem zu besseren Spielregeln zu kommen.
Sind sie aber einmal festgelegt – und das ist das Entscheidende –, dann sind sie für die Dauer des zu spielenden Spiels allgemein verbindlich. Dann ist es die Verpflichtung eines jeden Teilnehmers, wenn er denn an dem Spiel teilnehmen will und so lange er dann auch de facto teilnimmt, sich den Regeln unwidersprochen zu beugen, sie in Gänze zu akzeptieren. Sonst, ja sonst funktioniert das Spiel nicht. Und da hat man (erstaunlicherweise) in aller Regel nichts gegen Regeln.
Breche ich jedoch die Regeln oder bin mit deren Verbindlichkeit nicht (oder nicht mehr) einverstanden, dann bin ich raus aus dem Spiel, dann ist für mich das Spiel schlicht und ergreifend beendet.

Wollen Sie mir (und Schiller) wirklich – verzeihen Sie, wenn ich das so ordinär ausdrücke! – Fliegen auf’n A..., auf den Hintern setzen? Mir denselben in Dur und Moll fiedeln? – Ich glaub’s ja nicht!

Keineswegs!

Das ist doch altbekanntes Zeugs, das wohl jedem und jeder bekannt und klar sein dürfte! Das lernt und weiß doch jedes Kind, das irgendwann einmal irgendein Spiel gespielt hat!

Dann ist ja gut. – Prost und zum Wohlsein! Warum also Ihre Aufregung?

Weil ich nicht verstehe, was das Ganze mit der von Ihnen als so außergewöhnlich bedeutsam herausgestellten (und deshalb immer wieder ins Spiel gebrachten) Pflicht zu tun haben soll?

Nun warten Sie es doch ab! Und geben Sie mir etwas Raum, um es Ihnen zu erklären! – Geht es jedoch ganz allgemein um Pflicht und Pflichterfüllung, dann ist auf einmal große Empörung und viel Bohei, dann wird ein riesiger Aufstand veranstaltet: »Bevormundung«, »Freiheitsbeschneidung«, ja sogar »Freiheitsberaubung« oder Ähnliches bekommt man dann zu hören. Ist es etwa nicht so?

Wieder abgeregt, fällt mir ein, was einmal ein »Stückeschreiber« (wie er sich selbst bezeichnet hat) seine spielenden Darsteller im Chor hat sagen lassen:
Wichtig zu lernen vor allem ist Einverständnis. / Viele sagen ja, und doch ist da kein Einverständnis.172

Ja, genau, sofern damit ein zu lernendes Einverständnis gemeint ist, das auf einer zuvor zu treffenden gründlichen Überlegung beruht.
Die Regeln bilden gleichsam den für alle verbindlichen Rahmen, innerhalb dessen sich das gesamte Spiel bewegt und innerhalb dessen sich die an dem Spiel Teilnehmenden trotz Beachtung der Regeln – ich würde eher sagen: gerade aufgrund der Beachtung der Regeln – nach Herzenslust frei, jawohl, frei bewegen und frei entfalten können.

In diesem Moment schaltet sich Schiller wieder ein (der sich noch schnell den Zettel mit der schon verwendeten Aussage jenes »Stückeschreibers« von mir zustecken lässt):

Verstehe ich das richtig, wenn ich (mit jenem Dichterkollegen) sage, dass sich die Freiheit des Spiels somit in dem neuen Brauch, in jeder neuen Lage neu nachzudenken173, bekundet?

Kant schaut zuerst mich, dann Schiller mit leichtem Kopfschütteln für einige Augenblicke nachdenkend und tief einatmend an.

Nicht ganz. Ich glaube, das trifft es nicht ganz korrekt. Denn: in jeder neuen Situation neu nachzudenken und dann zu entscheiden, was richtig, was der Regel des gerade gespielten Spiels gemäß (also pflichtgemäß) ist, ist zwar ohne Zweifel ein sehr wohl sinnvoller Brauch und ebenso zweifellos sehr wohl wert angewendet zu werden. Aber ohne sich dabei auf eine allgemeine und grundlegende Regel berufen zu können, die für alle (auch denkbaren) Spiele uneingeschränkte Gültigkeit hat, bedeutet jedoch bei genauer Betrachtung, dass dann jede Entscheidung letztlich eine Einzelentscheidung, mithin eine Einzelbeurteilung darstellt.

Wieso denn das?

Nun, insofern als es in dem neuen Brauch allein darum geht, wie ich in dieser (zur Beurteilung und sodann zur Entscheidung anstehenden) jeweils einzelnen Situation zu handeln oder eben nicht zu handeln habe.

So ganz überzeugt mich das noch nicht.

Mich ebenfalls nicht.

Dann trifft wohl auch der (oftmals zu hörende) Vergleich Ihres kategorischen Imperativs – und um den geht es letztendlich – mit der sogenannten »Goldenen Regel« nicht zu, die da sagt: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg’ auch keinem andern zu?

Ja. Denn es handelt sich hierbei vielmehr um einen (wie ich ihn nenne) hypothetischen Imperativ.

Und warum das nun wieder?

Oh Mann! Nicht auch noch Sie, Schiller!

Kants Ton hat sich jetzt merklich verändert. Er wirkt etwas angefasst.

Weil – und für Sie, Herr Spielleiter (ich darf ich Sie doch so nennen!), ganz langsam zum Mitschreiben! –, weil sie, die »Goldene Regel«, erstens einen bestimmten Zweck verfolgt, nämlich die Vermeidung von etwas, das man nicht will; weil in ihr zweitens die Verallgemeinerung allein auf Handlungen gerichtet ist, nicht aber auf die Maxime der Handlungen; und weil ich drittens was gegen negative Formulierung habe. Das habe ich doch nun wirklich (zumindest nach meinem Dafürhalten) in einer Anmerkung zur dritten Fassung des kategorischen Imperativs174 deutlich genug gemacht. Oder meinen Sie nicht? Aber lassen Sie mich – wenn Sie erlauben – etwas weiter ausholen!

Klar doch! Ist doch Ihr ureigenstes Terrain.

Wenn’s denn sein muss und der Klärung dient! (Diese Bemerkung hätte ich mir besser sparen sollen, denn Kants missbilligender Blick trifft mich mit voller Wucht.)



[S. 155-162]

Anders ausgedrückt: Die Maxime (so wie ich sie im Zusammenhang mit der praktischen Vernunft verstehe, das heißt als subjektive, gleichwohl vernunftbegründete) ist mein persönlicher Leitsatz, meine moralische Regel, die ich zunächst nur für mich selbst aufgestellt habe (und die insofern zunächst auch nur für mich allein Geltung hat). Möchte ich aber, dass diese meine, subjektiv für mich gültige Regel zugleich auch eine objektive (und somit alle Subjekte betreffende) Gültigkeit erhält, dann ist es meine (verdammte) Aufgabe, über die Möglichkeiten und Grenzen eines (dann nämlich für alle Individuen allgemeinen und verbindlichen) Gesetzes nachzudenken. Das Ergebnis eines solchen Nachdenkens, also ein Gesetz gefunden zu haben, das einen objektiv gültigen Handlungs- und Willensgrundsatz enthält und nach dem wir alle uneingeschränkt handeln soll(t)en, ist dann der kategorische Imperativ praktischen Handelns.

Kann es sein, dass es sich bei Ihrem Gesetz (das erst nach intensivem Betrachten und ausführlichem Erörtern verstanden werden kann) – Verzeihen Sie, Kant, wenn ich das so abfällig sage! – eher um gekünstelte Geburten der theoretischen Vernunft179 handelt?

Ich fass’ es nicht! Das aus Ihrem Mund? – Nein, mein Lieber, insofern nicht, als das Gesetz eben keine »Geburt« der theoretischen und schon gar keine »gekünstelte« ist, sondern vielmehr der praktischen Vernunft nach eingehendem Nachdenken (und analysierend-suchendem Freilegen grundlegender Prinzipien) entstammt. Das zum einen. – Zum anderen möchte ich zurückfragen: Wie denn dann, wenn nicht gerade durch die Vernunft (zu der wir ja immerhin befähigt sind)?
Oder haben Sie etwa eine andere, eine bessere, eine griffigere Idee, Schiller?

[...]

So langsam bekomme ich Knoten im Kopf und meine Hirnzellen schlagen Purzelbäume, während die Synapsen vergnügt abwechselnd »Fang den Hut«, »Domino« und »Labyrinth« spielen.

Nun übertreiben Sie mal nicht! Außerdem geht es hier nicht um Sie und Ihren Kopf und was sich darin abspielt.

Verdammte Hacke! Natürlich nicht! Aber ohne mich ... Wie oft denn noch?

Genug jetzt!

Wollen Sie schon wieder meine Rolle übernehmen, Schiller?

Nein, nein! Wie käme ich dazu! – Mir fällt nur auf, Kant, dass wir wieder an dem Punkt angelangt sind, an dem Sie sich zum verpflichtenden (oder auch pflichtgemäßen) Einhalten von Regeln in Verbindung mit der Pflicht gegenüber dem von Ihnen aufgestellten ...

... und ausgiebig erläuterten ...

Nun halten Sie sich doch bitte mal etwas zurück! – ... kategorischen Imperativ geäußert haben. Jedoch haben Sie die Frage nach dessen gesicherter Verwirklichung in Verbindung mit dem Aspekt der Freiheit gänzlich ausgespart.

Sie haben recht, Schiller, das habe ich. – Die Frage dabei ist aber weniger, wer die Freiheit, also unser aller Freiheit unter dem allgemeinen Gesetz sichere182. Die ist durch das Gesetz selbst schon gesichert. Und dies insofern als Freiheit keineswegs uneingeschränkte Beliebigkeit oder Grenzenlosigkeit bedeutet und jeder machen könne, was immer er gerade wolle (indem er selbstherrlich, geradezu selbstverliebt sich auf die Brust schlagend, sich einzig auf seine individuelle Freiheit meint berufen zu können). Meine Freiheit hat nämlich dort ihr Ende, wo die Freiheit des oder der Anderen anfängt, wo ich durch die Ausübung meiner Freiheit der Ausübung der Freiheit des oder der Anderen schade, sie beschneide und somit die Grenze meiner Freiheit überschreite. Umgekehrt gilt selbstverständlich das Gleiche. (Ist zwar ’n alter, uralter Hut, von dem ich da gerade rede – scheint aber, obwohl ich es eigentlich nicht mehr hören kann, wohl immer wieder nötig zu sein, darauf aufmerksam zu machen!)
Die Frage, die sich (mir) vielmehr stellt, ist: Wer maßt sich (gegen alle tatsächlichen oder zu erwartenden Widerstände) an, derjenige zu sein, der dem Gesetz Gesetzeskraft gibt? Wer setzt das allgemeine Gesetz in der Lebenspraxis praktisch durch? Wer soll derjenige sein, der die Kompetenz und zugleich die Befugnis hat, über das Einhalten des Gesetzes zu wachen, zu urteilen (und gegebenenfalls Sanktionen zu verhängen)? Das sind die Fragen, die ich nicht beantworten kann. Das muss ich zu meinem großen Bedauern unumwunden eingestehen. Denn unsere Natur ist nun mal nicht von der Art, irgendwo im Besitze und Genusse aufzuhören und befriedigt zu werden183. – Das ist das eigentliche, das letztendlich entscheidende (eventuell sogar nicht zu lösende?) Problem!

[...]

Jedenfalls sollte jeder (und zwar gegenwärtige wie auch zukünftige) Kritiker ein für allemal bedenken, worum es mir im Grunde geht. Nämlich darum, eine allgemeine, grundlegende Regel zu finden, die nicht durch eine Verallgemeinerung von Einzelfällen gewonnen wird und die zugleich unabhängig davon gültig ist, egal, ob sie nun zu guten oder zu schlechten Konsequenzen führt.
Auch auf die Gefahr, mich (zum, ich weiß nicht, wie vielten Mal!) zu wiederholen: Mein Anliegen, das sich durch mein gesamtes philosophiekritisches Bemühen wie ein roter Faden zieht, ist (wie Sie ja selbst beschrieben haben) das Aufsuchen der Möglichkeiten und Grenzen unseres Erkennens, unseres Handelns und unseres Urteilens. Nicht mehr, aber auch um keinen Deut weniger!
Und dazu ist es erforderlich, in gleichsam archäologischer Weise an die Grundlagen, die Grundmauern heranzukommen und diese mit Akribie freizubuddeln. Oder wenn Sie so wollen, bis an den Kern vorzudringen (wohlgemerkt: »an« und nicht »in« den Kern; denn da können wir Menschen uns so viel abrackern und so tief und so lange buddeln wie wir wollen, das, das wird uns nicht gelingen – und das ist auch gut so!).

[...]

Dass dann bei der analysierenden, in Einzelteile zerlegenden Denkbuddelei Begriffe abgesondert, abgetrennt, gewissermaßen als Grabungsschutt beiseite geschafft werden müssen, bleibt leider nicht aus. Verstehen Sie!
So weit ich mich erinnere, habe ich auch nirgends öffentlich behauptet, bei meiner Suche völlig widerspruchsfrei zu sein, sondern lediglich, dass ich mich ernsthaft darum bemüht habe und bemühe, mit mir selbst einstimmig zu denken, sehr wohl wissend, dass mir das nicht immer unfallfrei gelingt.

Geht mir nicht anders. Wäre ja auch langweilig und staubtrocken. Deswegen: Prost!
Ich erhebe mein Glas und trinke. Kant auch.

Prost! Und außerdem: säßen wir dann hier? – Ich habe eben von archäologischem Grabungsschutt gesprochen. Das muss ich natürlich relativieren. Die analysierend ausgesiebten Begriffe sind ja für sich genommen keinesfalls bedeutungslose Abraummasse. Sie überlagern nur den freizulegenden Kern, dem ich mich, wie gesagt, so weit wie möglich (einer Asymptote gleich) anzunähern versuche.



[S. 202-204]

Eigentlich haben Sie ja recht, Schiller.

Womit habe ich recht?

Mensch! Mich als einen »großen Weltweisen« zu bezeichnen. Obwohl ... Ich kenne da noch jemanden, der, meiner Meinung nach, unbedingt auch in dieser Liga spielt und dem dieser Titel genau so gut zu Gesicht stünde ... (nun ja, nicht gerade heute Nacht!) oder besser: umgehängt werden müsste ... Immerhin sind Sie groß, größer als ich und die anderen mir bekannten Kollegen.

Das ist wohl wahr. Ganz genau um 24, in Worten: vierundzwanzig Zentimeter.

Nicht so laut, Schiller! es könnte uns, den zwei »großen Weltweisen «, jemand zuhören! Und uns für völlig abgedreht, arrogant und ignorant halten. – Jawohl: arrogante Ignoranz trifft ignorante Arroganz. Wie hätten Sie’s denn gern?

Konvulsivisch prustende Lachsalven. – Nach einer unbedingt angesagten Erholungspause, letzten Bissen in das noch übrig gebliebene Brot, dem einen oder anderen Happen Käse und mehreren Schlucken Wasser:

Haben Sie, mein lieber Kant, nicht auch das unbestimmte Gefühl, dass uns jemand die ganze Zeit (und ich meine: wirklich die ganze Zeit! – mich allerdings schon von Anfang an, und zwar seit Spielbeginn!) unentwegt begleitet und zuschaut?

Geht mir nicht anders. Soll der, die, das Jemand doch! – Ich befürchte allerdings, irgendwann wird dieser, diese, dieses Jemand mit ignoranter Arroganz (oder von mir aus auch anders rum) von sich mit dem Brustton der Überzeugung behaupten, uns, Sie, mich, richtig und in vollem Umfang verstanden zu haben und auch interpretativ darlegen zu können (wobei er, sie, es überwiegend lediglich aus unseren Werken oder woraus auch immer zitieren und diese Zitate mehr oder weniger sinnvoll miteinander verknüpfend einfach aneinanderreihen wird – ähnlich einer reichlich gefütterten Flickendecke!). Ist das nicht toll?

Wie sind die denn drauf? Ich bin das natürlich! Ganz offensichtlich ist an den beiden die lebhafte und in bester Stimmung einvernehmlich durchzechte und durchrauchte Nacht nicht spurlos vorbeigegangen. Aber, so what!

Sollen wir uns nicht mal langsam in die Horizontale begeben?

Wieso? Liegen wir nicht schon der Länge nach in der Horizontalen? – Zwar bin ich vor Erkältungen und Katarrhen nicht gefeit (und habe auch bekanntlich sehr häufig damit zu kämpfen). Ist mir aber hier und jetzt völlig schnurzpiepegal. Außerdem habe ich für den Fall der Fälle meine diversen Mittelchen! Ich würde – wenn es Ihnen nichts ausmacht und Ihnen ebenfalls danach ist – gerne hier draußen in der frisch erwachenden Natur schläfrig den neuen Tag erwarten.

Sehr gut! Dann machen wir’s doch so!

Unterdessen hat es bereits (schwach, ganz schwach) zu dämmern begonnen. Eine erste Vogelstimme ist auch schon zu hören, zunächst zwar noch zaghaft, dann forscher zwitschernd (wird wohl eine Schwarzdrossel sein). Frühmorgendliche Feuchtigkeit lässt meine Decken äußerlich etwas klamm werden. Inwendig ist dagegen noch genügend angenehme, wohlige Wärme ...

Lang hingefläzt und dick eingewickelt liegen sie weggedämmert in ihren Sesseln. Nur ein leises Röcheln mischt sich ab und an in die nun zahlreicher werdenden Vogelstimmen. Ansonsten herrscht ringsum noch Stille. – Ringsum schon, aber ...
... von ganz weit hinten (wo, hinten?) dringt nun auch das ferne Krähen eines Hahns und eine Stimme, die fröhliche Crisscross rhythms that explode with happiness und happy vibes verspricht und The Dawn ankündigt238 ...



[S. 227-229]

Gut! Alle Beteiligten sind wieder versammelt. Das Spiel kann fortgesetzt werden. Auch das Wetter spielt sonnig mild und fast wolkenfrei mit. Dass vor wie in dem Gartenhaus alles für das leibliche Wohl mit Ess-, Trink-, Rauch-, Sitz- und Heizbarem sowie allem, was zu einem launigen Beisammensein in angenehmster lange Weile benötigt wird, vorbereitet ist, ist klar und häufig genug gesagt worden (und könnte bei ständiger Wiederholung unangenehm ermüden). Aus diesem Grund werde ich es nicht mehr extra erwähnen (es sei denn, es hätte eine besondere Bewandtnis).
Was mich stattdessen interessiert und woran ich viel lieber mit der Frage anknüpfen möchte, ist: Wie war das doch gleich mit der Aufklärung? (Oder sollte ich präziser fragen: mit Ihrer Aufklärung?)
Meine Erfahrung ist nämlich die: Sobald man danach fragt, bekommt man Ihre (heute Vormittag zitierte und) allgemein berühmt gewordene Antwort förmlich um die Ohren geknallt, und zwar in aller Regel nur den sperrig gedruckten ersten Satz. (Wobei ich mich nebenbei auch noch frage, warum nicht der Wahlspruch der Aufklärung ebenfalls Sperrdruck erhalten hat?) Dagegen hört man den kompletten ersten Abschnitt nur in seltenen Fällen! – Oder noch unverschämter: Man erntet mitleidige, bisweilen herabwürdigende Blicke und als Antwort die intellektuell arrogante Gegenfrage: »Das weißt du nicht?« Und mehr kommt dann nicht.

Kant saugt an seiner Pfeife ...

Ist das so?

Ja, das ist so! – Ich setz’ noch einen drauf: In meiner Zeit scheint es in bestimmten Kreisen (ich sag’ jetzt nicht in welchen!) üblich geworden zu sein, zu irgendwelchen Anlässen, für ein x-beliebiges Ereignis, bei jeder sich bietenden (Un-)Gelegenheit Aussprüche, Sentenzen, Zeilen, Verse oder Ähnliches berühmter Persönlichkeiten zitierenderweise zu verwenden. Sie werden es nicht glauben, aber es gibt eine Unmenge an zum Teil dickleibigen Zitaten-Sammlungen, die extra dazu herausgegeben worden sind, die eigene Rede, den eigenen Artikel oder Beitrag (ob in der Einleitung oder als Schlusswort oder als zwischendurch eingestreute Würze, ob nun passend oder nicht passend) ordentlich aufzupeppen (vielleicht, um sich in selbstbespiegelnder Weise herauszuheben? – so jedenfalls kommt es mir manchmal vor). Auch Ihre Werke, Kant, beziehungsweise Schriften ebenso wie Ihre (und vor allem Ihre), Schiller, müssen immer wieder dafür herhalten. (Zu meiner Schande muss ich gestehen: Ich mach’ das nicht anders – wie Ihnen nicht entgangen sein dürfte).
Das Fatale an der ganzen Geschichte sind jedoch nicht die zitierten Worte selbst, sondern vielmehr, dass sie oftmals unbedacht (bedenkenlos) aus ihrem jeweiligen gedanklichen wie inhaltlichen Gesamtzusammenhang gerissen werden, eventuell sogar um das eine oder andere Wort verkürzt (oder umgestellt), und derart zurechtgestutzt in der neuen Umgebung nicht selten ihre Aussage (unter Umständen ihr thematischer Bedeutungsakzent) mindestens verzerrt (wenn nicht gar verfälscht) wird.

Das kann ich mir gut vorstellen! – Dann will ich mal nicht so sein und Ihnen »das mit der Aufklärung« zu erklären versuchen.
Zur Ermüdung aller muss ich erneut in Erinnerung rufen, dass es mir um das Herausfinden der Möglichkeiten und Grenzen unseres Erkennens, Handelns und Urteilens geht ...

Jaha, Kant, wissen wir! Also weiter in der Sache, das heißt in der Sache der Aufklärung!

Sie sind es doch, der danach fragt. Dann müssen Sie mir schon die Zeit dafür einräumen; denn das dauert ein bisschen.

Ist ja in Ordnung. Die Zeit kriegen Sie natürlich. Ist doch klar.

Gut. – Also, das heißt zugleich, dass die Vernunft, so wie ich sie verstanden wissen will, einen sich selbstkritisch hinterfragenden Grundzug hat ...



[S. 244/245]

Aber was ist denn eigentlich mit Ihnen, Schiller? Haben Sie überhaupt nichts dazu zu sagen?

Doch, doch! Hätte ich sehr wohl! – Nur führt mir das alles viel zu weit weg. Das sollen andere, dazu möglicherweise Berufenere untersuchen, zerlegen, beurteilen. (Die können sich meinetwegen dann einen darauf kanten oder von mir aus auch schillern.) Ich jedenfalls möchte hier nicht den Pfad eines gepuderten (... übrigens, mir fällt gerade auf: Wo ist eigentlich Ihre Perücke, Kant? Ach, ist auch egal ...), sauberst ausformulierten, wissenschaftstheoretischen oder philosophiegeschichtlichen (oder sonst wie lendenlahm aufgepumpten oder asthmatös hochstilisierten) Diskurses betreten und der Frage nachgehen, ob man von einer ersten oder irgendwann vielleicht von einer zweiten, dritten und so weiter Aufklärung wird sprechen können.
Ich suche vielmehr nach einer (sinnlich begeh- und somit erfahrbaren) Verbindung, nach einem fein zu spinnenden Faden ... und frage mich, ob es ausreichend ist, Aufklärung allein auf den Gebrauch des eigenen Verstandes zu reduzieren, ob die eigentliche »Aufklärung« nicht das dialektische Spiel von Verstand und Sinnlichkeit, das dialektische Spiel von Realität und Idealität, das dialektische Spiel von Gesetz und Freiheit, von Ordnung und Chaos, von Gesetz und Anarchie, von moralischem Staat und ästhetischem Staat, das dialektische Spiel von subjektivem Ich und objektivem Ich, von Einzelwesen und Gemeinschaftswesen ist?
Ja, ja, ist mir schon bewusst: alles nur eine denkbare Spielerei, aber es ist eben meine Spielerei!



[S. 252-255]

Was ist denn das? Soll das etwa Musik sein?

Ja, wieso denn nicht? Lassen Sie sich doch einfach darauf ein, mein lieber Kant! Tauchen Sie ein in die Andersartigkeit der Melodienbögen, in den fröhlich leichten und zugleich treibenden Rhythmus, gespannt darauf, was die nächsten Takte noch an nicht gehörten Überraschungen und tonalen Wendungen für uns bereit haben!

Also gleich noch eins hinterher, nämlich Blue Sky ...

Hören Sie, Kant, das fein gesponnene Zwiegespräch der beiden Gitarren? – Sind doch Gitarren, oder?
Sie wissen sicherlich, dass ich ein leidenschaftlicher Liebhaber der Tonkunst bin (auch wenn ich selbst kein Instrument spiele) und dass ich mich für Instrumentalmusik begeistern kann.

Ja, habe ich gelesen284. Dann wird Ihnen, so hoffe ich, das lange, überwiegend instrumental gehaltene Stück Masterpiece gefallen. Und schon nach wenigen Tönen ...

... Jaaa! Lauter!

Nein! Bitte nicht! Ich empfinde es geradezu als einen Nachteil, als einen gewissen Mangel an Urbanität, der der Musik eigentümlich ist und der darin besteht, daß sie, vornehmlich nach Beschaffenheit ihrer Instrumente, ihren Einfluß weiter, als man ihn verlangt, nämlich auf die Nachbarschaft, ausbreitet, und so sich gleichsam aufdringt, mithin der Freiheit anderer, außer der musikalischen Gesellschaft, Abbruch tut285.

Das kann ich nur bestätigen. Immer wieder geschieht es nämlich, dass ich mir Musik (»atemlos«) anhören muss, die ich überhaupt nicht hören will, auf die ich überhaupt nicht stehe, von der ich mich richtiggehend gestört fühle. (Gleiches gilt sicherlich auch im umgekehrten Fall.)

Schon. Aber hier hört uns doch niemand.

Doch, ich!

Wie bereits des Öfteren, ist die fürsorgliche Frau Wobser völlig unbemerkt auf der Spielfläche erschienen, um nach dem Rechten zu sehen (soll heißen: ob Kant und Schiller mit allem für einen klingenden Abend Notwendigen versorgt sind).

Fühlen Sie sich denn von unserer Musik gestört?

Nein, nein! In keiner Weise. Wo denken Sie hin! Aber hören tu ich sie schon. Klingt wirklich gut ...

Dann bleiben Sie doch einfach hier bei uns und haben (Ihren) Spaß mit uns!

Besser nicht! Täte uns allen bei Leibe nicht gut!

Und schwupps ist sie auch schon wieder aus dem Spiel verschwunden. – Ein neues Stück ist schnell reingeschoben: Butterfly Blue ...
Sogleich versucht Schiller den Rhythmus aufzunehmen, was ihm in Ansätzen auch gelingt, und beginnt trippelnd mit weit ausgestreckten Armen sich um seine eigene Achse zu drehen. Kant sieht derweil dem Treiben Schillers amüsiert zu. Dann fängt auch er an sich zur Musik zu bewegen. Den richtigen Groove und Move haben beide (vor allem Kant) allerdings noch nicht. Ihre Bewegungen sehen (noch) ein bisschen unbeholfen und ungelenk aus. Wer will’s ihnen auch verdenken (zu der Zeit, in ihrem Alter). Aber, so what!
Es folgen Boogie Woogie Waltz und Nubian Sundance ...

Ach, ist das herrlich, Kant! – Wie sich das Thema so allmählich entwickelt und immer mehr herauszukristallisieren beginnt ...

Ja, es ist schon erstaunlich! Auch Jahrhunderte nach uns gibt es fürwahr gute Musik, selbst wenn sie für meine Ohren äußerst ungewöhnlich und sehr gewöhnungsbedürftig klingt.

Dann lassen Sie uns eine Pause einlegen und ihren Klängen mit geöffneten Sinnen lauschen!

Während sich beide bequem hinlümmeln, etwas essen, trinken und qualmen, tönen aus den Lautsprechern einzelne Musikstücke von Three Fall und Hazmat Modine ...



[S. 263/264]

So, jetzt langt es aber auch! Zweckfreie Zweckmäßigkeit hin oder her, interesseloses Wohlgefallen hin oder her – für heute habe ich genug mit der Theoretisiererei. Auch nicht über die gebetsmühlenartig zu hörenden Gemeinplätze, dass ein jeder seinen eigenen Geschmack habe oder dass sich über den Geschmack nicht disputieren, jedoch durchaus streiten lasse.301 – Deshalb: Herr Kapellmeister! Geben Sie uns bitte was auf die Ohren, was immer Ihnen gefällt!
Und Sie, mein Freund Kant, Sie schließen hier und jetzt aus Gründen der Zweckmäßigkeit vorübergehend ihre Denkbude, übergeben (einzig darauf »abgezweckt«302) dem Seelenvermögen des Gefühls der Lust sowie unserm Musikaufleger die alleinige Regie, lassen Ihren auftauchenden inneren Bildern, Ihren Assoziationen freien Lauf, tanzen gemeinsam mit mir durch unbekannte musikalische Landschaften (mit ihrer je eigenen Verinnerlichung kultureller Symbolik) und folgen (zweckmäßigerweise!) einfach ... – wie wird man es später in Ihrer Sprache nennen?

... dem Flow, Schiller, dem Flow ...

Schönes Wort! Passendes Wort: »dem Flow« der Musik! – Noch schnell etwas Festes, etwas Flüssiges, etwas Rauchiges zu uns genommen – und los geht’s! Auf ein vielfältig Neues ...

Ich bin bereit, lieber Schiller! Tauchen wir (gleichwohl zweckmäßig zweckfrei!) ein in die körperliche Energie des Rhythmus, in das Zusammenspiel der Instrumente, der Stimmen mit dem Risiko, dass wir vorbei an den (tatsächlichen?) Inhalten, an den (tatsächlichen?) Aussagen der Musikstücke uns in ungesicherten, offenen Landschaften verlieren ...



[S. 310/311]

Noch ein Allerletztes. Die auf Kant oder richtiger: auf meine Beschäftigung mit der Philosophie Kants bezogene Äußerung ...

Zwei Jahrzehente kostest du mir, zehn Jahre verlor ich / Dich zu begreifen und zehn, mich zu befreien von dir.347

... lese und sehe ich nach der einzigartigen Begegnung mit Kant allerdings in einem doch wesentlich anderen Licht:
Wenn ich nämlich von »verlorenen Jahren«, von »Befreiung« spreche, dann hat das für mich nun nicht mehr die Bedeutung (selbst wenn das meine späteren Biografen und Interpreten völlig anders auslegen mögen), dass ich mich von der Philosophie Kants abgewendet, sie gar überwunden, vollständig hinter mir gelassen, sie sozusagen ein für alle Mal ad acta gelegt habe (was, mit Verlaub, totaler Blödsinn ist, denn das geht überhaupt nicht, und zwar nicht nur im Hinblick auf Kant, sondern das gilt generell: irgendetwas und sei es noch so winzig, bleibt hängen, bleibt beeinflussend immer übrig, und das nicht nur bei mir!).
Nein, sondern es hat viel eher die Bedeutung, dass ich Kants philosophische Gedanken – wie hat es Kant (wenn ich das noch richtig zusammenkriege) mir gegenüber noch mal umrissen? – in kongenial entwickelnder, komplementär entfaltender, synkretistisch synthetisierender Art und Weise aus eigenständiger philosophisch-poetischer Sicht konstruktiv kritisch vervollständigt habe (hört sich doch irgendwie grandios an, oder nicht?)348. Ich habe mich (wie ich das hier und jetzt einschätze) nur insofern von ihm befreien können, als ich seinen Vorstellungen keineswegs in sklavischer, in blind nacheifernder Abhängigkeit gefolgt bin, sondern jene (soweit mir das möglich gewesen ist) in kritisch reflektierender Haltung beleuchtet und durchwandert habe.
Dass ich (als etwas Sprunghafter, an Vielem, vielleicht zu Vielem Interessierter und zuweilen in meiner Tätigkeit wenig Kontinuität Zeigender) dabei das mir am Herzen Liegendste – und das ist nun mal meine Dichterei, seien es nun Theaterstücke, Gedichte oder Erzählungen – nicht selten über einen längeren Zeitraum (wie eben mit der Philosophie Kants) fast vollständig aus den Augen verloren habe, hat nach meinem heutigen Verständnis letztlich zu der (leicht missverstehend interpretierbaren) Äußerung von den »zehn verlorenen Jahren« geführt, in denen ich nicht meinen (vielfältigen) dichterischen Vorhaben und Wünschen entsprechend konsequent habe nachkommen können und auch nicht nachgekommen bin.

Wir sind auf gänzlich unterschiedlichen Wegen (mit all unseren jeweiligen Auffassungen, Überzeugungen, Vorstellungen, Idealen, Verschrobenheiten, Macken) gekommen. Wir haben voneinander gehört, uns geschätzt – und wir haben uns getroffen. Wir haben in unseren jeweils mitgebrachten Auffassungen, Vorstellungen, Idealen viele sehr viele, wie ich denke!) Gemeinsamkeiten (bisweilen überraschende Überschneidungen) entdeckt und gleichermaßen aufgedeckt, die uns für eine Zeit miteinander einigermaßen eng verklammert haben. Wir haben uns voneinander gelöst und gehen wieder mit unterschiedlichen Zielen, Inhalten und Ausgängen weiter auf unseren je eigenen Wegen.



[S. 326-328]

Reiseunternehmen und Zusammentreffen waren riskant. Das war mir von Beginn an (und auch während der gesamten Reise) sehr wohl bewusst. Landschaften sind vor mir vergnüglich irisierend aufgetaucht und vielfältig gestückt an mir vorbeigezogen.

Was soll ich noch sagen? Eigentlich nichts. Doch, dieses:
Ich weiß, dass ich nicht mitreißend schreiben kann – deswegen kompiliere ich. Ich weiß, dass meine Kompetenzen und Kenntnisse unzureichend sind – deswegen zitiere ich. Ich weiß, dass ich nichts Neues zu sagen habe – deswegen vertrete ich es.

Gelungen? Misslungen? Ob daraus ein Landschaftsbild entstanden ist? Ob Missverständnisse, Missdeutungen haben aus dem Weg geräumt werden können? Ob der großspurig angekündigte Versuch, der selbsternannte Begleiter der beiden auf einigen Pfaden durch ihre philosophischen Gegenden zu sein, vermessen (oder erfolgreich) gewesen ist? Ob die häufigen Vermischungen (in Verbindung mit eingestreuten Seitenhieben, vielleicht auch respektlosen Ausrutschern) vertretbar sind oder eher eine gebührende Ernsthaftigkeit vermissen lassen? Ob die Fantasiegebilde der hergestellten Zusammenhänge, der konstruierten Verknüpfungen mit neuesten Forschungsergebnissen vereinbar oder völliger Humbug sind? – Und schließlich: was ist, [w]enn [mein] Buch lediglich [meine] philosophische Inkompetenz bewiese? Wenn es nur aus hastig aufgeschnappten Erkenntnissen aus zweiter Hand bestünde355; wenn das Ganze ein maßlos Zusammengeklau(b)tes, verdächtig Uneigenständiges darstellte (und somit nicht das Papier wert, auf dem es gedruckt ist)?

[...]

Bleibt mir nur noch die eine Frage:
Welchen Leser ich wünsche? den unbefangensten, der mich, / Sich und die Welt vergißt und in dem Buche nur lebt.358



[erstellt: 23.03.2016 / aktualisiert: 05.09.2016]







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