philosophische Landschaften

»Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch
spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist,
und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.«

Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen



Was verbirgt sich hinter den Quersummen 12 und 11?

In diesem besonderen Fall die Zahlen 255 und 290. Es sind nämlich die in diesem Jahr sich jährenden Geburtstage SCHILLERs und KANTs!
Schiller- und Kantbüste
Deswegen noch einige Gedankensplitter zu SCHILLER UND KANT – der eine ein frei waltender, nur mühsam zu reglementierender Wort- und Begriffsjongleur, der andere ein unnachgiebiger, kritisch analysierender und systematisch entrümpelnder Denk- und Begriffsaufklärer:
Viele Namen aus dem näheren und weiteren, aus dem unmittelbaren und mittelbaren Umfeld Schillers werden immer wieder genannt und sind auch hinlänglich bekannt. Aber das »Gruppenbild mit Schiller« (in unverschämter Anlehnung an einen Romantitel Heinrich Bölls) bleibt »zerstückt« und mithin unvollständig, wenn seine Person nicht entsprechend seiner wirkmächtigen Bedeutung für Schiller im Gesamtbild ausdrücklich erscheint!

Noch ein zweiter, weit wesentlicherer Grund spricht dafür, ihn bei einem Fotoshooting in das »Gruppenbild« unbedingt aufzunehmen. Denn immerhin hat Schiller sich in den Jahren 1787 bis 1797 nicht nur mit der kritisch-aufklärerischen Philosophie Kants beschäftigt, sondern sich seit etwa 1791 in einem intensiven Studium damit auseinandergesetzt (und dafür seine dichterischen Tätigkeiten zwischenzeitlich fast völlig zurückgestellt), u. z. vor allem mit Kants »Kritik der Urteilskraft«, aber ebenso mit anderen bedeutenden Schriften Kants (so z. B. mit dessen »Kritik der reinen Vernunft«, mit der Schrift »Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« sowie »Zum ewigen Frieden«).

Schiller selbst äußert sich kurz, knapp, akzentuiert in den »Xenien« (unter der Nummer 514) über seine Beschäftigung mit Kants Philosophie folgendermaßen:

»Zwei Jahrzehente kostest du mir, zehn Jahre verlor ich
Dich zu begreifen und zehn, mich zu befreien von dir.«
[aus: Schiller, Werke – Xenien / Bd. III / S. 271]

Diese Auseinandersetzung ist in Schillers philosophisch-ästhetischen Abhandlungen unverkennbar eingeflossen und wird dort in geradezu kongenialer, gleichwohl kritisch-eigenständiger Weise durchleuchtet und weiter entwickelt (wie z. B. in den so genannten »Kallias-Briefen«, der Vorstufe seiner Briefe »Über die ästhetische Erziehung des Menschen«, den Schriften »Über Anmut und Würde« und »Vom Erhabenen. Zur weiteren Ausführung einiger Kantischen Ideen« sowie »Über den moralischen Nutzen ästhetischer Sitten«).
Alle diese Schriften kreisen im Grunde um das wechselseitig sich versöhnende Verhältnis der Begriffspaare »Sinnlichkeit und Sittlichkeit«, »Neigung und Pflicht«, »Willkürlichkeit und Verbindlichkeit«, »Mittel und Zeck«, »Stoff und Form«, »dynamischer Staat und ethischer Staat«, »Anmut und Würde« (und dergleichen mehr).

Um nur einen bruchstückhaften Eindruck sowohl von der Auffassung als auch der Stellung Schillers zur Philosophie Kants zu geben, sei (nicht zuletzt auch angesichts – wie ich finde –  durchaus vorhandener Aktualität der Aussagen über »Pflicht«, und dies zugleich in Verbindung mit Kants Vorstellung) an dieser Stelle eine etwas längere Passage aus Schillers »Anmut und Würde« zitiert (die Kant übrigens in einer Anmerkung zu seiner Schrift »Die Religion innerhalb der bloßen Vernunft« als eine »mit Meisterhand« verfasste Abhandlung bezeichnet!):

»In der Kantischen Moralphilosophie ist die Idee der Pflicht mit einer Härte vorgetragen, die alle Grazien davon zurückschreckt, und einen schwachen Verstand leicht versuchen könnte, auf dem Wege einer finstern und mönchischen Aszetik die moralische Vollkommenheit zu suchen. Wie sehr sich auch der große Weltweise gegen diese Mißdeutung zu verwahren suchte, die seinem heitern und freien Geist unter allen gerade die empörendste sein muß, so hat er, deucht mir, doch selbst durch die strenge und grelle Entgegensetzung beider auf den Willen des Menschen wirkenden Prinzipien einen starken (obgleich bei seiner Absicht vielleicht kaum zu vermeidenden) Anlaß dazu gegeben. Über die Sache selbst kann, nach den von ihm geführten Beweisen, unter denkenden Köpfen, die überzeugt sein wollen, kein Streit mehr sein, und ich wüßte kaum, wie man nicht lieber sein ganzes Menschsein aufgeben, als über diese Angelegenheit ein anderes Resultat von der Vernunft erhalten wollte. Aber so rein er bei Untersuchung der Wahrheit zu Werke ging, und sosehr sich hier alles aus bloß objektiven Gründen erklärt, so scheint ihn doch in Darstellung der gefundenen Wahrheit eine mehr subjektive Maxime geleitet zu haben, die, wie ich glaube, aus den Zeitumständen nicht schwer zu erklären ist.
So wie er nämlich die Moral seiner Zeit, im Systeme und in der Ausübung, vor sich fand, so mußte ihn auf der einen Seite ein grober Materialismus in den moralischen Prinzipien empören, den die unwürdige Gefälligkeit der Philosophen dem schlaffen Zeitcharakter zum Kopfkissen untergelegt hatte. Auf der andern Seite mußte ein nicht weniger bedenklicher Perfektionsgrundsatz, der, um eine abstrakte Idee von allgemeiner Weltvollkommenheit zu realisieren, über die Wahl der Mittel nicht sehr verlegen war, seine Aufmerksamkeit erregen. Er richtete also dahin, wo die Gefahr am meisten erklärt, und die Reform am dringendsten war, die stärkste Kraft seiner Gründe, und machte es sich zum Gesetze, die Sinnlichkeit sowohl da, wo sie mit frecher Stirne dem Sittengefühl hohnspricht, als in der imposanten Hülle moralisch löblicher Zwecke, worein besonders ein gewisser enthusiastischer Ordensgeist sie zu verstecken weiß, ohne Nachsicht zu verfolgen. Er hatte nicht die Unwissenheit zu belehren, sondern die Verkehrtheit zurechtzuweisen. Erschütterung foderte die Kur, nicht Einschmeichelung und Überredung; und je härter der Abstich war, den der Grundsatz der Wahrheit mit den herrschenden Maximen machte, desto mehr konnte er hoffen, Nachdenken darüber zu erregen.
[…]  Aus dem Sanktuarium der reinen Vernunft brachte er das fremde und doch wieder so bekannte Moralgesetz […].
Eine schöne Seele nennt man es, wenn sich das sittliche Gefühl aller Empfindungen des Menschen endlich bis zu dem Grad versichert hat, daß es dem Affekt die Leitung des Willens ohne Scheu überlassen darf, und nie Gefahr läuft, mit den Entscheidungen desselben im Widerspruch zu stehen. Daher sind bei einer schönen Seele die einzelnen Handlungen eigentlich nicht sittlich, sondern der ganze Charakter ist es. Man kann ihr auch keine einzige darunter zum Verdienst anrechnen, weil eine Befriedigung des Triebes nie verdienstlich heißen kann. Die schöne Seele hat kein andres Verdienst, als daß sie ist
[…]; dagegen ein schulgerechter Zögling der Sittenregel, so wie das Wort des Meisters ihn fodert, jeden Augenblick bereit sein wird, vom Verhältnis seiner Handlungen zum Gesetz die strengste Rechnung abzulegen. […]
In einer schönen Seele ist es also, wo Sinnlichkeit und Vernunft, Pflicht und Neigung harmonieren, und Grazie ist ihr Ausdruck in der Erscheinung. Nur im Dienst einer schönen Seele kann die Natur zugleich Freiheit besitzen, und ihre Form bewahren, da sie erstere unter der Herrschaft eines strengen Gemüts, letztere unter der Anarchie der Sinnlichkeit einbüßt. […]
Es ist dem Menschen zwar aufgegeben, eine innige Übereinstimmung zwischen seinen beiden Naturen zu stiften, immer ein harmonierendes Ganze zu sein, und mit seiner vollstimmigen ganzen Menschheit zu handeln. Aber diese Charakterschönheit, die reifste Frucht seiner Humanität, ist bloß eine Idee, welcher gemäß zu werden, er mit anhaltender Wachsamkeit streben, aber die er bei aller Anstrengung nie ganz erreichen kann. […]
[…] Wendet sich nun der Wille wirklich an die Vernunft, ehe er das Verlangen des Triebes genehmigt, so handelt er sittlich; entscheidet er aber unmittelbar, so handelt er sinnlich. […]
Beherrschung der Triebe durch die moralische Kraft ist Geistesfreiheit, und Würde heißt ihr Ausdruck in der Erscheinung.
Strenggenommen ist die moralische Kraft im Menschen keiner Darstellung fähig, da das Übersinnliche nie versinnlicht werden kann. Aber mittelbar kann sie durch sinnliche Zeichen dem Verstande vorgestellt werden, wie bei der Würde der menschlichen Bildung wirklich der Fall ist«
[aus: Schiller, Sämtliche Werke – Anmut und Würde / Bd. V / S. 262f, 265, 267, 269, 271f]


[10.02.2014]







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