VORBLATT ZUM »KATEGORISCHEN IMPERATIV« KANTS:
Zusammenstellung von Textpassagen zum »kategorischen Imperativ« aus seinen Werken
Wohl kaum ein Begriff wird mit der kritischen Philosophie Kants in unmittelbarere Verbindung gebracht wie derjenige des »kategorischen Imperativs«.
Eine Auseinandersetzung und Beschäftigung mit Kants Moralphilosophie bzw. mit seinen Auffassungen von einer normativen Pflicht- und Zweckethik reißt seit der Veröffentlichung der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) sowie der Kritik der praktischen Vernunft (1788) nicht ab und wird bis in unsere Zeit nach wie vor mehr oder weniger vehement, mit mehr oder weniger direktem Bezug auf jene Schriften geführt. Niemand, der sich für Fragen nach moralischem Handeln und ethischem Verhalten interessiert, kommt an ihnen letztlich vorbei. Dies gilt insbesondere für das von Kant aufgestellte Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft: seinen »kategorischen Imperativ«.
Gibt es doch meines Wissens kein (wirklich ernst zu nehmendes) Lehrbuch oder keine Sammlung philosophischer Texte zur Ethik, in dem bzw. in der der bekannte Imperativ nicht entweder selbst im Wortlaut enthalten ist oder zumindest auf diesen oder auf eine der vielen Fassungen mit ihren jeweils unterschiedlichen Akzentsetzungen (direkt oder indirekt) Bezug genommen wird.
Dass nicht nur die für unsere heutigen Ohren antiquiert wirkende Ausdrucksweise Kants, sondern auch dessen gewöhnungsbedürftige Begrifflichkeiten und vor allem sein Schreibstil mit den schier endlosen Satzkonstruktionen und Satzgefügen es dem Leser oder der Leserin nicht gerade leicht machen, seinen komplex entwickelten Gedankengängen zu folgen, ist unbestritten. Dennoch ist es meiner Ansicht nach der Mühe wert und lohnt die zweifellos aufzubringende Anstrengung, sich so weit wie möglich vorbehaltlos interessiert darauf einzulassen – egal, zu welchem anschließenden Urteil, das dann aber reflektiert und zugleich reflexiv vorgenommen werden kann, der oder die einzelne auch immer gelangen mag.
An dieser Stelle sei es mir erlaubt, für Kants immer wieder als rigoristische und zudem nur formalistische Pflichtethik abgetane idealistische Moralphilosophie eine »Lanze zu brechen« (eine an idealistische Vorstellungen aus dem mittelalterlichen Turnierwesen anknüpfende Wendung). Zu diesem Zweck möchte ich eine längere Passage aus Nur daß ich ein Mensch sei. Die Lebensgeschichte des Immanuel Kant (1996) von Arnulf Zitelmann anführen (da sie das zum Ausdruck bringt, wozu ich selbst in derartig sprachlich akzentuierter Weise nicht in der Lage bin, betrifft es – im eigentlichen Wortsinn – ja auch mich selbst und erinnert mich zudem stark an einen mittlerweile allbekannten Zweizeiler Arnold Haus aus seiner Tierwelt - Wunderwelt, der da lautet: Die schärfsten Kritiker der ELCHE / waren früher selber welche.):
Die Ethik des kategorischen Imperativs sperrt sich gegen Überheblichkeitsgefühle. Zugegeben, es ist verführerisch, sich Moral durch Gruppenzugehörigkeit zu attestieren. – Stimmt die Gruppe, stimmt die Moral. Befinde ich mich in der richtigen Clique, habe ich das richtige Thema – Umwelt, Frieden, Frauen, Menschenrechte – im Kopf, bin scheinbar automatisch ein besserer Mensch. Und wer möchte das nicht sein? Kant allerdings widersteht der moralischen Schulmeisterei [ganz im Gegensatz zu mir!], »weil, wenn vom moralischen Wert die Rede ist, es nicht auf die Handlungen ankommt, die man sieht, sondern auf jene inneren Prinzipien derselben, die man nicht sieht«. (...) Moral im Sinne Kants hakt ganz allein bei der Selbstbestimmung, dem Faktum der Vernunft, an. Sie steht auf sich selbst, bedarf keiner Gruppenmoral, bedarf keines Außenhalts. Das ist ihre Stärke.
Resignative Selbstbescheidung kommt in Kants Wörterbuch nicht vor. Seine Moral ist gefeit gegen Frust, gegen jegliche Art von Enttäuschung. (...) Also, egal, ob es fünf vor zwölf oder schon fünf nach ist, ich werde versuchen, das Rechte zu tun. (...)
Denn allein die moralische Selbstbestimmung definiert mich als Menschen. Auch wenn es »schlechterdings unmöglich« ist, durch Erfahrung einen einzigen Fall mit völliger Gewißheit auszumachen«, wo ich mich im Sinne des kategorischen Imperativs moralisch verhalten hätte! – Den Moralisten sei dies Votum Kants zu bedenken gegeben, allen moralischen Terroristen zumal: Moral läßt sich nicht dingfest machen. Nirgends, in keinem nur denkbaren Fall. In unseren virtuellen Erfahrungsräumen, der Sekundärwirklichkeit, bildet sich die Primärwirklichkeit, Freiheit, immer nur gebrochen, zweideutig, vieldeutig ab. So daß auch »bei der schärfsten Selbstprüfung« auf die Moralität »nicht mit Sicherheit geschlossen werden« kann, deren sich die Tugendwächter jeder Couleur bezüglich der eigenen Person so sicher zu sein glauben. Alle »eigenliebige Selbstschätzung« gerät unweigerlich zum Possenspiel, »weil die Tiefe des Herzens« dem Menschen »unerforschlich« ist.
Kein Ethiker vor und nach ihm hat der moralischen Selbstüberschätzung so vehement widerstanden wie Kant. Seine Moral ist darum nicht elitär, menschenverachtend, sondern menschenfreundlich wie keine andere. Es ist also nur konsequent, wenn Kants Ethik sich, fern aller Laxheit, dem höchsten nur denkbaren Standard verpflichtet: die Menschheit als Solidaridee sowohl in der eigenen Person als auch in der Person eines jeden anderen zu achten. Und das eben bedeutet, gerade weil die Verhältnisse sind, wie sie sind, sich moralischer Kurzatmigkeit zu widersetzen, langen Atem zu behalten. Daraus schöpft Kants Moralphilosophie ihre Unaufgeregtheit.
Schwärmerische Askese, die (...) mit »Selbstpeinigung und Fleischeskreuzigung« zu Werke geht, dient nicht der Tugend, wiederholt Kant immer wieder. Befördert wird diese allein durch »ethische Gymnastik«, eine praktische Moral, in der sich das »jederzeit fröhliche Herz des tugendhaften Epikur« zu erkennen gibt.
[Anm.: sämtliche in der Passage enthaltenen Zitate stammen aus Kants Werken]
Die im Folgenden von mir vorgenommene Zusammenstellung von Textpassagen ist nur insofern objektiv zu nennen, als sie allein den Gegenstand, nämlich den »kategorischen Imperativ« selbst (und dessen unterschiedliche Fassungen) im Blick hat. Die getroffene Auswahl der mitgelieferten Auffüllungen durch jeweils umgebenden Text ist dagegen subjektiv und soll – so hoffe ich – lediglich dazu dienen, Aussagen Kants zumindest ansatzweise in ihren jeweiligen Begründungszusammenhängen erkennbar und nachvollziehbar werden zu lassen.
Dabei sind die für die Zeit Kants spezifischen Spracheigenheiten (aufgrund fehlender allgemein verbindlicher Standards) sowohl in grammatikalischer, orthographischer sowie die Interpunktion betreffender Hinsicht unverändert (u. z. entsprechend der von mir verwendeten Werkausgabe von W. Weischedel) übernommen worden (und beruhen in diesem Falle – was für ein Glück! – nicht auf sprachlichen Unzulänglichkeiten meinerseits!).
[23.02.2012 – Foto ergänzt: 26.06.2012] |
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[aufgenommen im
IKG - Bad Oeynhausen
am 03.04.2012]
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Kants »kategorischer Imperativ« – Zusammenstellung von Textpassagen aus seinen Werken
3. Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf (1. Aufl. 1795 / 2. Aufl. 1796)
TITEL / TEXT / QUELLENANGABE |
SEITE |
BEMERKUNGEN |
Über die Mißhelligkeit zwischen der Moral und der Politik, in Absicht auf den ewigen Frieden
(...) |
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Um die praktische Philosophie mit sich selbst einig zu machen, ist nötig, zuvörderst die Frage zu entscheiden: ob in Aufgaben der praktischen Vernunft vom materialen Prinzip derselben, dem Zweck (als Gegenstand der Willkür) der Anfang gemacht werden müsse, oder vom formalen, d. i. demjenigen (bloß auf Freiheit im äußern Verhältnis gestellten), darnach es heißt: |
S.239 |
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handle so, daß du wollen kannst, deine Maxime solle ein allgemeines Gesetz werden (der Zweck mag sein welcher er wolle). |
S.239 |
17. Fassung (Version) des kategorischen Imperativs |
Ohne alle Zweifel muß das letztere Prinzip vorangehen: denn es hat, als Rechtsprinzip, unbedingte Notwendigkeit, statt dessen das erstere, nur unter Voraussetzung empirischer Bedingungen des vorgesetzten Zwecks, nämlich der Ausführung desselben, nötigend ist, und, wenn dieser Zweck (z. B. der ewige Friede) auch Pflicht wäre, so müßte doch diese selbst aus dem formalen Prinzip der Maximen, äußerlich zu handeln, abgeleitet worden sein. – Nun ist das erstere Prinzip, das des politischen Moralisten (das Problem des Staats-, Völker- und Weltbürgerrechts), eine bloße Kunstaufgabe (problema technicum), das zweite dagegen, als Prinzip des moralischen Politikers, welchem es eine sittliche Aufgabe (problema morale) ist, im Verfahren von dem anderen himmelweit unterschieden, um den ewigen Frieden, den man nun nicht bloß als physisches Gut, sondern auch als einen aus Pflichtanerkennung hervorgehenden Zustand wünscht, herbeizuführen.
(...)
in: |
Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf – (1795) 1796
Immanuel Kant, Werke XI – Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 1. Hrsg. v. W. Weischedel; Wiesbaden 1956 |
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S.239 |
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Kant für Anfänger. Der kategorische Imperativ
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Eine Lese-Einführung von Ralf Ludwig
München; (1995) 5. Aufl. 1999
Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv) / Bd. 30144 / 124 Seiten
ISBN: 3-423-30144-9 |
sehr gute, durchweg verstehbar dargestellte und infolgedessen sehr empfehlenswerte Einführung in Kants kategorischen Imperativ |
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